Cricket wird viel gespielt. Der jetzige Premierminister war der Captain des Nationalteams beim Weltmeistertitel 1992.

Auch nach unserem letzten Blogtag im pakistanischen Bahawalpur geht es wieder vogelwild zu auf unserem Weg ins ferne Tokio. Weiterhin werden wir in Pakistan vor seltsame, äußerst kuriose und für uns absolut willkürliche behördliche Entscheidungen gestellt. Wieder will man uns nicht frei durch Pakistan radeln lassen, wieder sollen wir von paramilitärischen Einheiten begleitet werden. Warum durften wir uns vor dem erwähnten Blogtag knapp 400 Kilometer von Sukkur, im Staat Sindh, bis eben Bahawalpur, im Staat Punjab, frei auf den Straßen Pakistans bewegen? Sogar bei Privatpersonen haben wir übernachtet, ganz ohne zusätzlichen Schutz und ohne Maschinengewehr in Sichtweite. Wir haben uns wohlgefühlt und hatten keinerlei Bedenken gegenüber Land und Leuten. Und jetzt? 

Die Pakistanische ist sehr freundlich und neugierig. Nico erklärt den Sinn der Poolnudel.

Für die Eskorten durch den Risikostaat Balutschistan hatten wir ja, nach Erläuterung der dort herrschenden Spannungen und einem intensiven Gespräch mit dem Direktor des Innenministeriums, noch Verständnis. Dort gab es und gibt es eine große potenzielle Gefahr durch Terrororganisationen, wie die afghanische Taliban, Separatisten und andere Banditen. (Für mehr Informationen zu Balutschistan siehe auch unseren letzten Blogeintrag „Wild. Wilder. Wilder Westen. ) Wir waren und sind dem Polizei – und Militärapparat durchaus dankbar für ihre Unterstützung in Balutschistan. Schließlich sind wir kein Himmelfahrtskommando und wollen heil und am Stück wieder in der Heimat ankommen. Auch über die schriftliche Genehmigung des pakistanischen Innenministeriums und der Aushändigung des NOS, des „No-Objection-Certificat“ also dem „Keine-Einwände-Zertifikat“,  haben wir uns sehr gefreut und dachten „das wird schon werden mit uns und Pakistan“. Das genannte Zertifikat bescheinigte uns, dass wir uns ab Sukkur wieder vollkommen frei bewegen dürfen, ausdrücklich ohne jegliche Einschränkung und ohne Eskorte. Alleine – auf dem Fahrrad!

Vom Städtchen Sukkur bis nach Bahawalpur hat diese Vereinbarung zwischen uns und dem Staat Pakistan auch wunderbar geklappt- aber warum jetzt im Bundesstaat Punjab wieder nicht? „Das war purer Zufall“, erklärt man uns lapidar. Scheinbar sind wir den Behörden einfach nur durch die Lappen gegangen.

Wir bekommen große Augen und lange Ohren bei all den möglichen Gefahren.

Die Begründungen der paramilitärischen Einheiten werden jetzt immer kurioser. Mal erklärt man uns – es sei zu rutschig zum radeln (es hatte zuvor 20 Minuten geregnet und, außer ein paar Pfützen, waren die Straßen staubtrocken). Wir kommen aus dem Schmunzeln nicht mehr raus. Ein Andermal wird uns mitgeteilt, es sei zu heiß für Europäer und wir könnten daher nicht auf die Räder steigen. Ja, es ist schwül, aber definitiv nicht heißer, wie an den Tagen zuvor. Wollen die uns veräppeln? Hängt hier irgendwo eine versteckte Kamera? Es wird laut zwischen uns und den uniformierten Beamten, wir weigern uns wieder in eine Eskorte zu steigen und wir verlangen ein Telefonat mit der deutschen Botschaft, was den Beamten sichtlich unangenehm ist. Das Telefonat kommt daher nicht  zustande, zeigt aber Wirkung. Es wird telefoniert und gegrübelt. Mit Eskorte fühlen wir uns schlicht angreifbarer, denn wir erzeugen bei der Bevölkerung wesentlich mehr Aufmerksamkeit, wie ohne polizeiliche Dauerbegleitung. Außerdem werden uns ständig neue Märchen erzählt- wir haben einfach keinen Bock mehr, belogen und hintergangen zu werden. Zudem kommen wir gerne mit Land und Leuten in Kontakt, die Bevölkerung Pakistan ist uns bislang sehr herzlich begegnet. Hier und da etwas distanzlos, aber dies sind wir gewohnt und gehört bei jeder Radreise in exotischen Gebieten absolut dazu.

Wir fühlen uns gefangen. Ein Gespräch mit diesem Korbflechter am Straßenrand ist nicht möglich, die Polizei lässt keinen Kontakt zu.

Zähneknirschend müssen wir uns damit abfinden, dass ab sofort im Abstand von knapp 20 Metern immer eine militärische Einheit hinter uns her tuckert. Immerhin dürfen wir radeln – ein erster Kompromiss. Circa alle 30 Kilometer wechseln sich diese Einheiten mit Kollegen ab, so lernen wir viele neue Gesichter kennen und posieren für deren „Selfie-Galerie“. Wir nehmen es inzwischen mit Humor. Was sollen wir auch machen? Die Männer können ja nichts für die Entscheidungen, welche irgendwo in einem anonymen Behördengebäude getroffen werden. Da nur Unterkünfte mit einem erweiterten Sicherheitsangebot Touristen aufnehmen dürfen, wird die Suche nach einer Unterkunft oft zu einem weiteren Spießrutenlauf. Je später der Tag wird, desto bedachter sind unserer Begleiter uns schnellstmöglich der nächsten Einheit zu übergeben. Frei nach dem Motto: Kümmert ihr euch um eine Unterkunft für die Jungs, euer Problem, wir machen Feierabend! Teilweise werden Privatpersonen aufgefordert uns ein Quartier für die Nacht zu geben- dieses Prozedere ist uns sehr unangenehm und sehr zeitintensiv. Die Polizei wacht die ganze Nicht vor der Zimmertür und schleicht am nächsten Tag wieder mit durchschnittlich 18km/h hinter uns her. Tagtäglich bis an die Grenze zu Indien. Wir hatten von Anfang an das Gefühl, dass die Behörden Pakistans uns so schnell, wie möglich, aus dem Land haben wollen. Wobei uns die versteckte Schönheit des Landes zum Großteil leider verborgen bleibt. Geld willkommen, Tourist nicht! Schade, kein schönes Gefühl. Am Ende waren es übrigens geschlagene 93 (!) Eskorten von der iranischen bis an die indische Grenze. Unser Bedarf an Begleitservice sollte damit für unser restliches Leben gedeckt sein.

Einmal um die Welt. Wir sind auf zwei Touren gesamt 40075 Kilometer geradelt.

Kurz vor der Grenze zu Indien gibt es für Nico und mich allerdings noch eine Kleinigkeit in Pakistan zu feiern: Bei Kilometer 7.685 sind wir nun einmal um die Welt geradelt! Wie? Der Erdumfang beträgt doch 40.075 Kilometer! Richtig, zusammengerechnet mit unserer Rio-Tour 2015/2016 (32.390 km) und den jetzigen 7.685 Kilometern, kommen wir auf 40.075 Kilometer und damit auf eine Weltumrundung mit dem Fahrrad.

Die indische Grenze ist in Sicht. Goodbye Pakistan.

Danke Pakistan, auch wenn wir uns nicht frei bewegen durften und wir uns vorkamen, wie unter dem Regime der Stasi, oder gerade deswegen, bleibst du uns sicher lange in Erinnerung. Wir haben allerdings auch Touristen getroffen, welche von Pakistan in den höchsten Tönen geschwärmt haben. Darüber freuen wir uns sehr, da wir grundsätzlich positiv denken und vielleicht einfach zum falschen Zeitpunkt eine unglückliche Route gewählt haben. Die einfache Bevölkerung entlang unserer Route hat uns schwer beeindruckt, die Menschen müssen hier hart für ihre Existenz arbeiten und bekommen nichts geschenkt. Was haben wir für ein Glück solch eine Reise machen zu dürfen und in solch ein Schlaraffenland, wie es unsere Heimat Europa nun einmal ist, rein geboren zu sein. Demut und Dankbarkeit schleicht sich bei uns ein.

Die übertriebene Fahnenzeremonie an der Indisch-Pakistanischen Grenze zieht täglich Tausende Besucher an.

Wir verlassen also den Hexenkessel und begrüßen am Abend des 128. Reisetages mit einem herzlichen „Namaste“ Indien – unser Land Nummer 14 und damit das Land, der Mythen, Götter, Geister und dem organisierten Chaos. Und wir werden gleich mit einer großen Überraschungsparty à la Bollywood empfangen. Direkt an der Grenze findet jeden Abend eine bizarre Show zwischen den Erzfeinden Pakistan und Indien statt. Das sogenannte „Flaggen einholen“ ist eine, im wahrsten Sinne der Wortes, grenzwertiges Spektakel und lockt jeden Abend tausende Besucher an. Jeden Tag wird also vor tosendem und sehr patriotischem Publikum mit viel Tamtam, militärischen Gehabe und Drohgebärden in Richtung des Feindes die jeweilige Flagge eingeholt. Dies dauert eine gute Stunde und, seit nun knapp 50 Jahren täglich,  liefern sich die Militärs auf beiden Seiten diese irrwitzige Show – Willkommen im „Zirkus à la Bollywood“!

Wir genießen unsere wiedergewonnen Freiheit und radeln fröhlich pfeifend drauflos, nächstes gröberes Ziel ist das wohl berühmteste Mausoleum der Welt: das Taj Mahal in der Stadt Agra, südlich von Neu Dehli.

Überrascht sind wir die ersten Tage von den sehr guten Straßenverhältnissen in Indien. Wir sprechen hier vom Belag der Straße, nicht vom Verkehrschaos und dem Unrat, welcher uns in den Weg gelegt wurde. Es ist schwül- kein Wunder, denn es ist Ende der Regenzeit- so schwitzen wir schneller, wie im türkischen Hamam. Endlose Reisfelder ziehen an uns vorbei und wir freuen uns über die tägliche Hängematten-Siesta im Schatten der Bäume zur Mittagszeit. 

Ein kunterbuntes und ständig wechselndes Straßenbild lassen den Alltag wie in einer Zirkusvorstellung erscheinen.

Aber warum eigentlich Zirkus à la Bollywood? Auf der Straße werden wir zu wahren Slalom-Akrobaten, dies wird zu unserer Paradedisziplin im indischen Straßenzirkus. Zerfetzte LKW-Reifen, Scherben und andere spitze Gegenstände sind Gift für unsere Reifen. Nico macht bei Kilometer 7.997 den Anfang, mit Plattfuß Nr. 1 der Reise. Doch kurz nach der 8.000 Kilometer Marke liegen wir schon wieder mit jeweils 2 Plattfüßen gleichauf. Indien ist ein Reifenkiller. Was sonst noch zu einem ordentlichen Zirkus gehört? Tiere natürlich! Und diese gibt es an jeder Ecke: Kamele, Ochsen, Pfauen, Streifenhörnchen, Papageien, Affen und natürlich die allgegenwärtige Kuh begleiten uns quasi täglich und bis in die Städte. Ohne Publikum wäre jeder Zirkus Langweile pur. Und Publikum haben wir ohne Ende. Inder sind überaus neugierig- wir werden angestarrt, belächelt, bejubelt und fotografiert, wie zwei Clowns in der Manege. Eine eigene zirkusreife Nummer kreieren die Inder höchstpersönlich: Es gibt wohl Verkehrsregeln in Indien, nur scheint die keiner zu kennen. Der Verkehr, gerade in den Ballungsgebieten, ist eine Show für sich – Autos kommen von allen Richtungen und auf jeder Fahrbahn, von vorne und von hinten. Die Konzentration ist auf 300% und trotzdem kommen die Rikschas, Mopeds, Autos, Busse und LKW’s oft bedrohlich nahe. Es gibt einfach Nichts, was im indischen Straßenverkehr nicht transportiert wird. Es ist der pure Wahnsinn. Hupende Fahrzeuge und ohrenbetäubende Musik sind das Orchester der ganzen Zirkusvorstellung. Auch die Menschen selbst tragen zur Geräuschkulisse bei, es wird gebetet und gesungen, dabei wird fröhlich geklatscht und getrommelt- definitiv der angenehmere Sound. Eine wahre Luftnummer zeigen die Menschen hier, sobald man nach dem Weg fragt: der Kopf wird dabei in alle Richtungen bewegt, die Hände gestikulieren wild umher und am Ende bist du verwirrter als zuvor. Essen darf im Zirkus natürlich auch nicht fehlen. Dieses bekommt man würzig serviert an jeder Ecke, allerdings sollte man den Grad der Schärfe vorher klar aushandeln. Zu allem Überfluss ist momentan Wahlkampf in Indien, aus den Grund sind überall Bühnen aufgebaut, es werden Parolen gebrüllt und lautstark Versprechungen verkündigt, aber diesen Affenzirkus kennen wir ja aus der Heimat. Unsere Bühne – unser Zirkuszelt, sind also die Straßen, aber unser eigenes Zelt packen wir momentan allerdings nicht aus. Es ist einfach irrsinnig schwül und die Stechmücken haben Hochkonjunktur. Der Körper braucht nachts Zeit zum Abschalten und diese Ruhe mit etwas Luftzirkulation gibt es im Zelt momentan einfach nicht. So suchen wir gegen Abend immer eine kleinere Unterkunft auf und genießen den Luxus eines Ventilators und einer durchgelegenen Matratze. Ausgeschlafen geht es am nächsten Morgen wieder auf die Straße – Manege frei für eine neue Vorstellung.

Pause am Kiosk. WIr unterhalten uns mit den Einheimischen und auf der Landkarte unsere Route.

Wir machen einen großen Bogen und lassen Delhi einfach links liegen. Die kleineren Städte hier in Indien sind allerdings ebenfalls Millionenstädte- kein Wunder bei 1,3 Milliarden Menschen in diesem riesigen Land. Diverse Staaten haben wir bislang in Indien durchquert, jeder Staat scheint seine eigenen Götter, Geister, Rituale, Gesetze, Sitten und Bräuche zu haben. Man muss schon ein ausgesprochener Indien-Experte sein, um da den Durchblick zu behalten. Manjit ist Inder und klärt uns mit einem riesigen Turban auf dem Kopf ein wenig auf. Auch viele andere nette Menschen unterstützen uns ebenfalls und füllen unsere Wissenslücken mit interessanten Dingen auf. Am nächsten Tag sind wir allerdings wieder einen Bezirk weiter und das Gegenteil scheint hier zu gelten, Indien macht den Anschein, ein gut behütetes Geheimnis bleiben zu wollen.

Der Taj Mahal im Abendlicht. Wir genießen die Stimmung am Ufer des Yamuna-Flusses.

Am achten Tag unserer Indien-Expedition erreichen wir Agra und damit das vermutlich berühmteste Wahrzeichen Indiens: das Taj Mahal. Die Schönheit des Mausoleums strahlt uns schon aus der Ferne entgegen. Ehrfürchtig erkunden wir die Grabstätte am Südufer des Flusses Yamuna. Der muslimische Großmogul Shah Jahan ließ den Bau zum Gedenken an seine, im Jahr 1631 verstorbene, große Liebe Mumtaz Mahal erbauen. Heute gehört das Mausoleum zum UNESCO-Weltkultuerbe. Muss Liebe schön sein – Indien du verzauberst uns!

Wir suchen uns die nächsten Wochen den Weg an die indische Ostküste- unser Ziel: Indien neue Geheimnisse zu entlocken. Wir sind gespannt, was Bollywood bereithält.

Mit schwülen Grüßen,

Eure Pasta-Gorillas

Julian und Nico

Weitere Bilder findest Du in unserer Galerie.