Belgrads Ballungsgebiet zeigt sich zäh, wir brauchen viel Geduld bis wir wieder in der freien Natur radeln dürfen. Allerdings zeigt sich die Natur kurze Zeit später sehr rustikal, die Wege sind vom Dauerregen der letzten Wochen aufgeweicht und äusserst tief und wir navigieren uns zu allem Überfluss auch noch komplett ins Abseits. Jedenfalls finden wir uns in einer grünen Hölle wieder, der brasilianische Regenwald ist ein Kindergarten dagegen. Wir hieven die Räder über Stock und Stein, über Bäche und Wurzeln, sehen keine Wege und keine Zivilisation (außer Müll), wir sind Gott froh als wir nach diesen Irrgarten wieder einen einigermassen befahrbaren Pfad finden. Wir müssen extrem zerstochen, zerkratzt und ausgelaugt aussehen, hinter jedem zweiten Gartenzaun wird uns zugejubelt, gefühlt in jedem dritten Dorf müssen wir mit der sehr herzlichen Landbevölkerung einen kleinen (Mitleids-) Schnaps trinken oder werden gleich zum Essen eingeladen.
Der Regen macht uns mürbe, in unserer Verzweiflung schlafen wir in Rohbauten am Wegesrand, allerdings gefällt dies nicht jedem Bauherren. Gerade als wir es uns in einem halbfertigen Häuschen gemütlich gemacht haben, steht der Eigentümer wild schimpfend und gestikulierend im Haus und droht mit der Polizei. Nach 10 Minuten Diskussion und diplomatischer Feinarbeit lässt er uns schliesslich doch für eine Nacht im Trockenen nächtigen und zieht wieder ab. Wir fahren auf der serbischen Seite weiter die immer wilder werdende Donau entlang, durch unsere traumhaften, und wilden abendlichen Zeltplätze haben wir beste Sicht auf Rumänien, welches uns direkt gegenüber liegt.
Inzwischen sind wir mitten auf dem Balkan angekommen, das Essen wird feuriger, die Schnäpse stärker, die Frauen tragen Kopftücher und die Hunde kläffen und jagen uns kurz hinterher. Die Luft ist erfüllt vom Geruch der Zypressen – und Kiefernwälder, für uns eindeutig ein Geruch des Sommers. Ja, wir kommen südlicher, nur die Sonne glänzt durch Abwesenheit. Ein paar Berge und einige Portionen Pasta später verabschieden wir uns von Serbien und begrüßen mit Bulgarien Reiseland Nr. 7.
Gleichzeitig mit dem Grenzübertritt zu Bulgarien sehen wir einen goldenen Ball am Himmel, ganz klar ist er zu sehen, keine Wolke verdeckt ihn, kein Regen ist in Sicht. Was ist das nur? Tatsächlich am Tag 25 unserer Reise haben wir erstmals keinen Regen und Temperaturen von über angenehmen 20 Grad, die Sonne setzt sich endlich durch. So einfach sind die Pasta-Gorillas also glücklich zu machen, danke Petrus.
Wir treffen nicht nur unglaublich viele neugierige, hilfsbereite und gastfreundliche Einheimische auf und neben der Strecke, nein, auch andere Radreisende sind hier keine Seltenheit. So schliesst sich dem Gorilla-Balkanexpress Stefan, ein junger Österreicher der nach Istanbul radelt, für 2 Tage an.
Inzwischen können wir die kyrillischen Schriftzeichen auf den Verkehrsschildern zwar nicht mehr entziffern, aber die Donau, die Sonne und die Sterne weissen uns sicher den Weg in Richtung Schwarzmeerküste. Von der bulgarischen Donauseite aus gesehen sieht Rumänien extrem flach aus, eine Versuchung der wir nur schwer widerstehen können. Ohne lange zu überlegen, finden wir uns auf der Fähre nach Rumänien wieder, keine 10 Minuten dauert diese Überquerung und schon sind wir in Rumänien angelangt.
Was sollen wir sagen? Rumänien fasziniert uns von der ersten Radumdrehung an. Geschlagene 2 Tage radeln wir durch ein riesiges nostalgisches Freilichtmuseum, die Dörfer könnten auch irgendwo in Südamerika stehen, es liegt eine greifbare Leichtigkeit in der Luft. Die Menschen jubeln uns, egal ob Stadt, Dorf oder Walachei zu, sowas haben wir auf all unseren Radreisen noch nicht erleben dürfen. Egal ob Eis, Bier, Kaffee oder Cola die Rumänen weigern sich oft unser Geld anzunehmen und dies trotz der offensichtlichen Armut in vielen Teilen des Landes. Hier sind die Menschen noch mit Pferdekutschen unterwegs, Frauen bestellen die Felder und kümmern sich um Haus und Garten, die Männer machen Holz, schrauben an ihren Autos oder improvisieren diverse Dinge am Haus und Hof, die Alten sitzen vor ihren Häuschen und beobachten das Dorfleben, die Kinder hüten das Vieh, rennen um die Wette und kommen neugierig auf uns zu. Kriminalität und bissige Straßenhunde laufen uns jedenfalls nicht über den Weg, Vorurteile erfolgreich entkräftet. Im Gegenteil, wir sind so begeistert vom Balkan, dass wir erst 4 Tage später schnallen, dass wir uns in einer anderen Zeitzone befeinden und die Uhren vorgestellt werden müssen, willkommen im Urlaubsmodus. Zeit und Raum spielen nur noch eine sekundäre Rolle. Zugegeben Rumänien hat uns bislang am meisten überrascht, die flachen Streckenabschnitte und der Rückenwind setzen unserem Rumänien-Besuch die Krone auf.
Zurück nach Bulgarien geht es über die Donaubrücke in Ruse, jetzt hiesst es Abschiedsnehmen von der Donau. Gute 1500 Kilometer begleitet uns der zweit längste Fluss Europas treu, viele Abenteuer durften wir an seiner Seite erleben und bestaunten ein unglaublich facettenreiches Leben auf und neben dem Fluss.
Wieder in Bulgarien angekommen wartet der letzte Abschnitt „Balkan“ auf uns und dieser zeigt sich hügelig und zäh. Um die Motivation hochzuhalten feiern wir an Tag 29 unseren Reisekilometer Nr. 2000. Jeder Meter, jeder Zentimeter, jeder Tag ist ein kleines Mosaiksteinchen auf dem Weg bis ins anvisierte Japan, jetzt wird es langsam aber sicher hügliger. Zu allem Überfluss scheinen die Auto- und LKW-Fahrer in Bulgarien ihren Führerschein selbstausstellen zu dürfen, eine ordentlich Fahrschule haben hier wohl die wenigsten besucht. So weichen wir mehrmals täglich ins Bankett aus, depperten Autofahrer! Wir wurden das ganze System, egal wo, wieder auf Pferd und Fahrrad umstellen, so gäbe es auch weniger Kreuze am Strassenrand.
Felix quält sich nun schon 3 Wochen mit enormen Rückenschmerzen ab, nimmt täglich Schmerztabletten und kommt dennoch immer wieder an seine physischen und psychischen Grenzen. Am Abend meistert zwar auch er jeden Hügel, jede Schlaglochstrasse und jede Verkehrslage, aber er muss bis zum Feierabendbier oft noch mehr psychische Hürden überspringen wie Nico und ich. Unsere abendlichen Gedanken kreisen um die Organisation, Aufgabenverteilung, Streckenplanung und die körperliche Verfassung von Felix. Wie soll das weitergehen wenn wir mal wirklich im Gebirge, in der Wüste oder im Regenwald sind? Für viele Länder haben wir bereits ein Visa im Pass, das heisst wir müssen bis zum Datum XY im jeweiligen Land eingereist sein, da gibt es kaum Spielraum. Bereits am 27.6 müssen wir im circa 2500 Kilometer entfernten Tiflis/ Georgien sein, dort bekommen wir unsere Pässe mit dem Visa für Iran/Pakistan. Ausserdem erwarten uns in der Türkei knapp 25.000(!) Höhenmeter, nach Adam Riese müssen wir also täglich, bei einem Pausentag pro Woche gerechnet, 100 Kilometer und 1000 Höhenmeter bei (vermutlich) heissen Temperaturen meistern. Da kommt man natürlich schon ins grübeln, ob unser kleines 3-Mann-Team dies alles erfolgreich meistert.
Erfolgreich kommen wir jedenfalls an der bulgarischen Schwarzmeerküste an, exakt 31 Tage und 2235 Kilometer haben wir von München bis Burgas/Schwarzmeerküste dafür auf den Rädern gesessen, ein schönes Zwischenziel. Die Bulgaren waren wesentlich zurückhaltender wie die Rumänen, irgendwie hatten wir das Gefühl Bulgarien liegt in einem Dornröschenschlaf. Die Dörfer, die würdevoll verzierten Häuser, die komplette Infrastruktur hatten mit Sicherheit mal glanzvollerer Zeiten. Gerne würden wir eine kleine Zeitreise in die 40’er – 50’er Jahre des letzten Jahrhunderts mache, es gäbe mit Sicherheit viel zu entdecken und zu bestaunen.
Danke Europa, danke Balkan, wir kommen wieder.
Morgen geht es also weiter in Richtung Türkei, bis an die Grenze sind es noch circa 90 Kilometer, wir freuen uns auf Land Nr. 9 und viele tolle Begegnungen mit Land und Leuten. Vom Höhenprofil und den Kilometern wird die Türkei, wie schon erwähnt, sicher kein Zuckerschlecken, wie es weitergeht erfahrt ihr spätestens im nächsten Blog.
Vielen Dank für Eure zahlreichen Nachrichten via Mail, Instagram oder Facebook. Bitte seht es uns nach, dass wir nicht auf alle Nachrichten reagieren können. Nur selten haben wir Internet, unser Leben spielt sich (meistens) offline ab und das ist auch gut so.
Vielen Dank für Euer Verständnis, wir freuen uns aber dennoch von Euch zu hören, bleibt uns treu.
Eure Pasta-Gorillas
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