Slope Point-Südlicher geht es nicht auf dem Festland.

An der Ostküste der Südinsel Neuseelands geht es zu, wie auf einem beliebten Freizeitpark: die kantige Küstenstraße spielt mit uns Achterbahn und schickt uns Hügel für Hügel rauf und runter, vor lauter Hügeln sehen wir quasi die Berge nicht mehr. Für den Geisterbahn-Flair sorgen die endlosen Autoreihen, welche sich an uns vorbeischieben und uns hauchdünn überholen. Das dauerhafte Wetterchaos, welches uns nach wie vor begleitet und alle Wetterverhältnisse innerhalb eines Tages schickt, sorgt oft für einen gespenstischen Rahmen. Der Wind bläst ohne Unterlass kalt und erbarmungslos in die Gesichter und lässt uns langsamer, wie gedacht, vorankommen. Wind und Regen machen uns mürbe und die Stunden auf den Rädern werden lang und zäh. Es ist Hochsaison im Abenteuerpark „Neuseeland“ und davon haben natürlich nicht nur wir Wind bekommen. Dass sich aber dermaßen viele Pauschaltouristen mit ihren Mietautos und Wohnmobilen an uns vorbeischieben, damit hätten wir beim besten Willen nicht gerechnet. Allerdings gehört zu jedem gut besuchten Freizeitpark auch ein triftiger Grund und diesen liefert Neuseeland natürlich und zwar mit einer beinahe arroganten Überheblichkeit. Die Küstenstraße ist für die Augen ein welliger Traum, hinter jedem Hügel erwartet uns ein neuer atemberaubender Ausblick über die See und die endlosen, saftig grünen Schafweiden auf der anderen Seite der Straße. Wir kommen am Nugget Point vorbei und  besuchen dort den wohl romantischsten Leuchtturm Neuseelands. Weiter geht es durch den sogenannten „Catlins Forrest Park“ bis zum Etappenziel „Slope-Point“, welcher den südlichsten Punkt des Landes darstellt. Dort angekommen pfeift der Wind beinahe orkanartig, zwischen uns und dem Südpole liegt jetzt nur noch ganz viel Wasser- südlicher geht es (zumindest auf dem Festland Neuseelands) nicht mehr. Der Slope-Point ist gleichzeitig der Wendepunkt in Richtung Norden, ab sofort stimmt die Himmelsrichtung wieder und zeigt uns selbstbewusst den Weg nach Japan an.

Viele Zeltplätze akzeptieren keine Zelte…

Unglaubliche 23.000 Millionen Schafe grasen Neuseeland ab, bei gerade einmal knapp 4,8 Millionen menschlichen Bewohnern eine stolze Summe. Sitzen die Kiwis ausnahmsweise nicht in einem Auto, sind die Menschen unglaublich freundlich, offen und hilfsbereit. Wieder einmal sind wir von unseren Mitmenschen begeistert, der Pastor John lädt uns zu Kaffee und Kuchen ein, die Familie am Wegesrand lädt uns zum BBQ und Bier ein, Jen lässt uns bei sich im Garten zelten, ein weiterer John schenkt uns 50$ und die bestellten Pizzen im Restaurant werden uns einfach nicht berechnet. Ja, wir fühlen uns wohl unter den Menschen. Allerdings ist da diese Sache mit der unglaublich nervigen Doppelmoral, die uns immer wieder durch die Blume vorgetragen wird. Einerseits verkauft Neuseeland, ähnlich wie auf einem Freizeitpark, jeden Schmarrn als Attraktion und verlangt freche und unverhältnismäßige Eintrittsgelder. Auf der anderen Seite wird den Touristen die Schuld in die Schuhe geschoben, dass die Gletscher schmelzen und die Pinguine Population zurück geht etc. Das Problem wäre einfach gelöst, liebes Neuseeland: Limitiert den Tourismus. Nein, wollt ihr nicht? Warum nicht? Ach ja, ist klar: die liebe Kohle, welche der Tourist ins Land schleppt, wollt ihr natürlich schon! Neuseeland ist abhängig von den Urlaubern, egal welche Größe die Brieftasche hat- wie ein Schaf auf seine Wolle im Winter. Sobald es ums Geld geht, wird gelächelt, doch sobald der Tourist außer Hörweite ist, wird gemeckert. Der Mensch braucht scheinbar immer und überall eine Hassliebe, da Neuseeland keine angrenzenden Nachbarn hat, sind es eben die Touristen. Inzwischen darf man nicht mehr zu den Gletschern wandern, betuchte Touristen werden allerdings mit dem Hubschrauber auf die Gletscher geflogen. Euer Ernst? Ist das der Ökotourismus auf neuseeländische Art oder nur eine weitere Form von Geldgeilheit? Wir werden angemeckert, da wir unser Besteck (ohne Spülmittel und Seife) im Fluss abwaschen und für Geld gibt es keine moralischen Grenzen?

Die Poolnudel hält überholende Autos auf Abstand.

Um uns den Verkehr vom Hals zu halten, haben wir uns neue farbenfrohe Schwimmnudeln besorgt und diese machen einen fantastischen Job. Leider ist die Infrastruktur für Radfahrer nur phasenweise ideal in Neuseeland. Es gibt punktuell sehr schön angelegte Tracks, ein landesweit funktionierendes Radnetz sucht man allerdings lange und letztendlich vergebens- da schauen selbst die Schafe auf der Weide doof drein. Die Infrastruktur konnte mit dem enormen Anstieg des Tourismus in den letzten Jahrzehnten einfach nicht mithalten. Die Straßen sind eng und schmal, es gibt oft keinen Seitenstreifen und der Asphalt ist grob und daher extrem laut. So wird uns das Leben als Radfahrer nicht immer einfach gemacht. Neuseeland ist selbstverständlich ein erste Welt Land, was die Infrastruktur für Radler anbelangt reiht es sich allerdings irgendwo zwischen Nordperu und Südaserbaidschan ein. Auf Campingplätzen sollen wir den gleichen Betrag zahlen, wie 2 Menschen in einem dicken Wohnmobil. Wir lächeln nur leicht verschmitzt und schlagen uns in die Büsche. Bislang ging jedenfalls noch kein Cent für Übernachtungen in Neuseeland drauf. Versteht uns nicht falsch, aber Neuseeland möchte über kurz oder lang die grünste Nation der Welt werden und kommt Wanderern und Radlern dabei keinen Schritt entgegen. Wir hinterlassen einen ultra grünen Reifenabdruck, sollen aber den gleichen Preis beim Campen zahlen, wie die Abgasschleuder SUV oder Wohnmobil? Das Ziel, die grünste Nation der Welt zu werden, ist nobel, bis dahin geht allerdings noch viel Wasser den Gletscher runter. Der Busch ruft und wir folgen brav! Aus Augen eines Radreisenden siehst du die Welt eben aus einem anderen Blickwinkel. Wir berichten hier von unseren Erlebnissen, von unserer Geschichte und setzen uns eben auch kritisch mit unserer Umwelt auseinander. 

In der Natur finden wir die schönsten Plätze.

Jedenfalls bietet der Busch, wie immer, Abenteuerromanik pur, gepaart mit einem enormen Freiheitsgefühl pur, nicht nur die Schafe und Kühe fühlen sich hier draußen, wie im Paradies. Nach einem Sprung ins kühle Nass- ein Bach, ein Fluss oder ein See finden sich immer- sitzen wir abends hungrig vor unserem Zelt und können es kaum erwarten, bis die Pasta endlich „al dente“ ist. Weg von der Küste erinnert uns die Szenerie vermehrt an Kanada und Alaska, die Berge werden selbstbewusster, die Seen malerischer, die Flüsse wilder und das Wetter beständiger. So sitzen wir am Lake Manapouri und am Lake Te Anau und fühlen uns wie in einem Bilderbuch für kleine Abenteurer. Traumhaft! Den Zenit der Schönheit erleben wir vorerst am Milford Sound. Wir erwischen für den Milford Sound einen Sahnetag, selbst unser Skipper hat in 25 Berufsjahren nur 2-3 Tage erlebt, an welchen der Fjord so malerisch und spiegelglatt vor ihm lag.

schneebedeckte Berge und sommerliche Temperaturen.

Nach den Milford Sound finden wir tatsächlich einen einsamen und idyllischen Radweg. 2 Tage radeln wir den ATM-Trail ab und werden nicht enttäuscht. Es geht über Schotter und Sand, allerdings könnten wir jeden Meter anhalten, um einen Moment inne zu halten und um ein Foto zu schießen. Nun spielt auch der neuseeländische Sommer voll mit und lässt den Mavora See in den schönsten Blautönen strahlen, die Kiefernwälder riechen sommerlich und duften nach Harz, die Berge zeigen ihre schneebedeckten Kuppen und die Weiten der Täler vermitteln dabei etwas Grenzenloses. Neuseeland, wie im Prospekt. Allerdings mussten wir dafür etwas suchen und die Räder in die hintersten Ecken bewegen. Vom Walter Peak müssen wir das Schiff nach Queenstown nehmen und 45 Minuten später legen wir auch schon an. Ein gigantischer Louis Vuitton Store empfängt uns direkt am Pier- für uns ein klares Zeichen auf Pauschaltouristen zu treffen und gleich weiter zu ziehen. Wir radeln für ein paar Kilometer kreuz & quer durch die Stadt, die Stadt hätte von Barbie und Ken persönlich entworfen werden können. Aufgesetzt, kitschig und teuer.  Dazu kommt der unschöne, amerikanische Touch der Stadtplaner: Quadratisch. Praktisch. Steril. Wenige Minuten später steht unser Zelt am Seeufer und wir freuen uns am nächsten morgen über eine weitere Nacht ohne Ranger, nervige Anwohner oder sonstige Komplikationen, vor welchen wir beim wildcampen in Neuseeland oft genug gewarnt wurden.

Domi und Neele überraschen uns am Zeltplatz.

Entlang des Kawarau-Rivers gefällt es uns so gut, dass wir uns nach nur 2 Stunden auf dem Rad für eine weitere Übernachtung  und einen halben Pausentag entscheiden. Die Sonne strahlt, das Wasser lockt, warum nicht nochmals einen Tag die Seele baumeln lassen und die Ruhe genießen? Die große Überraschung folgt prompt: Neele und Domi sind Freunde meiner Freundin Marisa, die 2 haben über unseren Standpunkt-Tracker unseren Aufenthaltsort lokalisiert und stehen zu unserer Verwunderung plötzlich mit 2 kühlen Bier hinter unserem Zelt. Was für ein witziger Zufall, was für ein schöner Nachmittag. Der halbe Pausentag kam aber auch zum richtigen Zeitpunkt. Schon am nächsten Tag wartet eine weitere Herausforderung: Der „Crown Range“-Pass ist der höchste Pass Neuseelands und möchte überquert werden. So quälen wir uns den Pass hoch und genießen die Aussicht auf dem gerade einmal mal 1076 Meter hohen Pass. 1076 Meter ist natürlich keine ausgefallene Hausnummer für einen Pass, doch Neuseeland ist hügelig und so sammeln wir die täglichen Höhenmeter eher durch die vielen kleinen Berge und Hügel. Wir sausen also wieder hinunter ins Tal und finden das Örtchen Wanaka am gleichnamigen See vor. Auch hier setzt sich das Spiel Ranger vs. Wildzelter fort, inzwischen steht es 16:0 für uns. Da kommen die schwäbischen Rebellen in uns klar zum Vorschein.

In Wanaka treffen wir auf Jens aus Coburg, Jens ist insgesamt 6 Monate mit dem Rad in Neuseeland und Australien unterwegs. Das Besondere an Jens, auch er ist mit einem zuverlässigen Velotraum-Rad unterwegs, allerdings fehlt bei ihm unser Herzstück: das Pinion-Getriebe. So fachsimpeln wir eine Weile über die Vorzüge einer Fahrradreise und ziehen über die schlechten Manieren der neuseeländischen Autofahrer her. Nach E-Bike, E-Scooter und unzähligen „Ich-werde-jetzt-faul-und-dick“ – Apps wird es bei einigen Vertretern der menschlichen Rasse Zeit für ein E-Hirn. Dies bezieht sich allerdings auf den gesamten Planeten und hat nichts persönlich mit Neuseeland und seinen Bewohnern und Touristen zu tun. Da der Mensch eh zum faul sein verkümmert, würde der E-Mensch sicher viele Befürworter finden.

Mit dem Velotraum Die welt erleben. Auch Jens lebt seinen Traum…
Unser Zelt für die nächsten 3 Nächte.

Wir verlassen Wanaka und radeln in das knapp 20 Kilometer entfernte Lake Hawea, dort lebt Liz mit ihrer Tochter, Schwiegersohn und den 3 Enkeln. Liz haben wir über die gemeinnützige Fahrrad- Webseite warmshowers.org gefunden, sie lädt uns für 3 Nächte auf ihren Landsitz ein und wir sind somit Teil eines neuseeländischen Familienlebens. Die 3 Kids sind 2, 4 und 7 Jahre alt und halten uns ziemlich auf Trapp, überall gibt es auf der Farm etwas zu zeigen oder zu entdecken. Wir zelten im Garten, aber nicht in unserm Zelt, sondern in einem gigantischen Safarizelt. Die Betten mit einer richtigen Matratze sind inklusive. Unsere Erholung und Zeit für diesen Blog kommt dabei auch nicht zu kurz.

Heute sind Nico und ich exakt 6 Monate ohne Felix unterwegs und, wie es der Zufall so will, beginnen heute, in exakt 6 Monaten, die Olympischen Spiele von Tokio 2020. Um uns sportlich auf das Großereignis einzustimmen, geht es heute noch zu einem Rugby Spiel im Städtchen Wanaka. Rugby ist ebenfalls olympisch und Neuseeland eine Weltmacht in diesem Spiel, auch Spieler der legendären „All Blacks“, dem Nationalteam Neuseelands, werden heute auf dem Feld stehen.

Für uns geht es jetzt die Westküste der Südinsel rauf und ab Anfang Februar sollten wir die Nordinsel unsicher machen. Wir sind gespannt, welche Büsche uns dort erwarten – bei Windstille kann man sie bereits ganz leise unsere Namen rufen hören….

Mit rebellischen Grüßen,

Julian und Nico 

Weitere Bilder findest Du in unserer Galerie.