Dieser Warnhinweis gilt nicht nur für Autofahrer.

„Nie im Leben würde ich auf den Straßen Neuseelands Fahrradfahren!“. Mit diesen Worten werden wir von unserer Gastgeberin Liz wieder auf die Straße entlassen. Liz beherbergte uns für 3 Tage in der Nähe von Wanaka, wo wir unseren letzten Bericht schrieben. Sie ist selbst ambitionierte Weltreiseradlerin, war bereits in unzähligen Ländern mit Rad und Zelt unterwegs und hat dabei x-tausende Kilometer auf den verrücktesten Straßen dieser Welt gemacht und heil überstanden. „Neuseelands Straßen sind mir zu gefährlich, es gibt einfach keine Infrastruktur für Radler, die Auto- und Truckfahrer haben kein Verständnis für Leute, wie Euch. In den letzten Jahrzehnten hat der Verkehr hier auf unseren kleinen Straßen so enorm zugenommen, da hab ich keinen Spaß mehr am radeln. Radfahren wird hier nicht gefördert, die Autolobby ist zu mächtig“.

Traumstraße entlang am Lake Wanaka. Mit Autoverkehr furchtbar schmal und riskant.

Drastische Worte, aber jedes einzelne davon spiegelt unser Befinden exakt wieder. Wir brauchen nicht viel, aber eine Armlänge Freiheit sollte man von jedem einigermaßen vernünftigen Menschen erwarten können- egal ob Einheimischer oder Tourist. Unsere Schwimmnudeln, welche uns den Verkehr auf Distanz halten sollen, werden gar mit Absicht angefahren, wohl um uns zu zeigen: „Verpiss Dich von meiner Straße, hier bin ich der Boss!“. Die passenden Gesten und Schimpfwörter der Autofahrer lassen oft nicht lange auf sich warten. In Asien, Südamerika oder auch Südeuropa sind es die Autofahrer noch gewöhnt, langsame Verkehrsteilnehmer wie Mopeds, Eselskarren, Fußgänger und eben Fahrräder etc. in ihren Verkehrsfluss einzubauen. Hier in Neuseeland gibt es nur Vollgas. Aber die Polizei zeigt Verständnis für uns. Wir werden gestoppt und nach einem kurzen Gespräch mit den Worten „New Zealand drivers are the worst in the world. Bad for you, good for me! Otherwise I don’t have a job as an policemen. Stay safe and let the noodels out!“, verabschiedet.

Frühstückspause bei 14.000 Kilometer.

Vermutlich sind wir deshalb so irritiert, weil wir dies von Neuseelands Straßen absolut nicht im geringsten erwartetet hätten. Wild Wild West auf den Straßen des eher beschaulichen Inselstaats. Allerdings gibt es eben dieses unglaublich tolle Kontrastprogramm, welches wir jeden Tag quasi „frei Zelt“ geliefert bekommen. Von Wanaka aus zieht es uns in Richtung Westküste der Südinsel, am Tag 273 unserer Reise machen wir im „Mount Aspiring Nationalpark“ unserer 14.000 Kilometer voll. Der Nationalpark strotzt nur so vor Wasserquellen, überall wirft sich ein Wasserfall in die Tiefe, ein Bach/Fluss fließt talabwärts oder ein malerischer See lädt zu einer kurzen Verschnaufpause ein. Der Park ist gleichzeitig das Tor zur Westlüste. Stundenlang radeln wir durch den gigantischen Regenwald, die üppige Vegetation mit den überdimensionalen Farnen und den moosigen Bäumen und Wurzeln hat was von einem Märchenwald. Es fehlen nur die Feen und Zwerge. Wir kommen kräftig ins schwitzen, als wir den Haast-Pass erklimmen. Gleichzeitig berieselt uns ein feiner Dauerregen. Regenwald halt.

Idylle Pur am Lake Ianthe. Nur Wir 2 und tausende Sandflies.

Auch die Westküste zeigt sich wild und unberechenbar. Hier regiert größtenteils der Regenwald, daher haben wir den Regen auf dem Radar und bauen diesen in unseren Alltag ein. Eine Sache hatten wir allerdings nicht auf dem Schirm: Sandflies! Sobald wir stehen, stürzen sich die kleinen Blutsauger auf jede freie Körperstelle, in Massen und ohne Scham. Auch hier hat Neuseeland ein Alleinstellungsmerkmal, denn so viele fiese kleine Monster hatten wir in all unseren Ländern bis jetzt noch nicht. Sie sind einfach überall- unsere Zeltwände könnten Geschichten von blutigen Schlachten erzählen. Wir nehmen es mit einer großen Portion Abenteuerromantik hin, gehört halt dazu, Natur pur. Die Einheimischen sind der Meinung: “Nach 500 Stichen ist man immun, außerdem müsst ihr nur die Weibchen erschlagen, die Männchen stechen nicht!“. Nur wie sich Männlein und Weiblein unterscheiden, wird uns nicht verraten, die Kiwis haben einen tollen Humor.  Andere große und kleine Tiere machen sich in Neuseeland eher rar, obwohl die Wälder oft sehr einladend aussehen, bekommen wir relativ wenige Wald-, Baum- und Wiesenbewohner zu sehen. Aber vielleicht sind diese einfach auch nur schlauer als wir, haben keinen Bock auf uns und genießen ihr Leben tiefer im Gebüsch. Andy, ein 32-jähriger Engländer radelt für einen Tag mit uns mit, eigentlich wollte er mehrere Tage mit uns Wind und Wetter trotzen und sich mit uns ins autarke Leben mit der Natur stürzen. Schon nach der ersten extrem regnerischen Zeltnacht zieht es ihn allerdings in ein Hotel und auf eine weiche Matratze. Zu viel Regen und zu viele Sandflies, er konnte nicht schlafen! Engländer waren auch mal härter im Nehmen…

1 Kilometer in 10 Jahren. Die Gletscherschmelze trübt unsere Freude und Muss allen Menschen zu bedenken geben.

Am Franz-Josef Gletscher tauschen wir die Perspektive und schlüpfen in die eines Wanderers. Weg von der Straße, rauf auf die Tracks. Und ja, für Wanderer fühlt sich Neuseeland wohl wirklich wie das Paradies auf Erden an. Keine Autos! Kein Lärm! Nur wir, viel Platz, erstaunlicherweise sogar mit Sonnenschein pur und einer Natur zum niederknien. Der Anblick des Gletschers ist dagegen etwas deprimierend: Nico war im Jahr 2009 bereits vor Ort. Seitdem ist der Gletscher um über 1000 m (!) zurückgegangen. Einfach nur traurig. Der Perspektivenwechsel tat gut, allerdings sind wir eben Cowboys, unsere Rösser sind aus Aluminium und haben Räder statt Hufen. Unsere (Grund-) Perspektive ist die eines Radlers.

Ab in den Bach. Die beste Erfrischung nach der Anstrengung auf dem Rad.

Apropos Cowboys: In Franz-Josef werden die Satteltaschen mit Vorräten aufgestockt, wir verlassen die Straße und schlagen uns in die Wildnis. Der „West Coast Wilderness Trail“ ist unser Ziel, denn dieser Trail führt uns durch ein atemberaubendes Gebiet entlang der Westküste. Wir haben Glück, das Wetter spielt mit und wir radeln für mehrere Tage einsam über die Tracks. Entspannung pur, geht doch! Hier fühlen wir uns wie echte Cowboys, die Kühe in den Tälern schauen uns neugierig nach, die Bäche laden zum baden ein und der Horizont hat scheinbar kein Ende. Wir passieren den Saloon „Cowboys Paradise“, sitzen kurze Zeit später ausgepowert vor unserem Zelt und starren verträumt in den Sonnenuntergang. Für eine Handvoll Pasta würden wir jetzt über Leichen gehen, müssen wir aber nicht. Diese köchelt bereits leise vor sich hin, Neuseeland kann so entspannt sein. Am Ende sind es eben doch nicht (nur) die Kilometer, welche so eine Reise ausmachen, sondern die einzelnen Momente. 

Auf dem Weg nach Tokyo. Dort werden Rekorde gebrochen.

Wir wollen jedenfalls keinen neuen Weltrekord aufstellen, sondern in unserer hektischen Welt etwas endschleunigen, Mensch und Natur bewusst mit all unseren Sinnen auf- und wahrnehmen. Die Welt für uns erkunden und unseren Horizont erweitern, in einem verdaulichen Tempo und einem grünen Reifenabdruck. Viel zu häufig treffen wir Reisende, übrigens auch Radler, welche in einem Affenzahn durch die Welt hetzen. Klar hat nicht jeder die Zeit, aber ist nicht weniger mehr? Wie gesagt, wir wollen keine neue Bestmarke aufstellen, schließlich radeln wir für solche zu Olympia nach Japan. Dort sollen Rekorde gebrochen werden und Bestmarken überboten werden. Dieses Spektakel ist unser Ziel und das alles wollen wir bequem auf unseren Sitzen in den jeweiligen Arenen bestaunen und miterleben.

Rauf und runter. Täglich machen wir knapp 1000 Höhenmeter.

Jetzt wir uns klar, warum der Farn ein Symbol für Neuseeland ist: überall begegnen wir jetzt dem Silberfarn. Bis zu 10 Meter können die haarigen Stämme dieser Farne hoch wachsen, definitiv eine andere Dimension zu unserem heimischen Farnen. Langsam bewegen wir uns weg von der Westküste und suchen unseren Weg in Richtung Norden. Es sind nicht die gigantischen Berge, welche jeden Tag unzählige Höhenmeter bringen, sondern die unzähligen Hügel. Die Bremsbelege sind nach über 14.000 Kilometer durch und müssen bei mir ersetzt werden, jetzt bin ich wieder bereit für jede Abfahrt.

Mitten im Busch und Doppelter Schutz vor dem Regen.

Wie bereits erwähnt: Neuseeländer lieben Zäune. Vermutlich sind die Farmer hier inoffizielle Weltmeister im Zäunen von Weiden, Wiesen und Äckern. Glückwunsch dazu. Zäune bestimmen das Bild, kilometerlang und überall durchschneiden diese die Landschaft, die Natur wird quasi weggesperrt. Diese Tatsache macht die Zeltplatzsuche enorm schwer. Sobald wir einen Zeltplatz gefunden haben, die Pasta restlos aufgefuttert ist und die letzte Sandfly eliminiert wurde, fallen wir todmüde in unsere Schlafsäcke. Die prasselnden Regentropfen auf die Zeltplane wiegen uns schnell in den Schlaf, am nächsten Morgen springen wir wieder in die immer noch feuchten Radklamotten und ziehen weiter gen Norden.

Energie Tanken am See.

An dieser Stelle wollen wir Mal ein dickes Lob an unseren Unterstützer „Kaipara” über den großen Teich schicken. Das kleine Team von Kaipara unterstützt uns mit tollen Merino-Produkten. Selbst bei regnerischen Verhältnissen trocknen die Shirts, Mützen und Hosen etc. enorm schnell und sind dabei sofort wieder einsatzfähig. Erstaunlicherweise reicht zum Trocknen bereits Körperwärme, was uns gerade in den Morgenstunden sehr entgegen kommt. Auch in der Nacht wollen wir die Teile nicht missen, die Temperaturen schwanken hier enorm- gefroren haben wir zwischen Deutschland und Neuseeland allerdings kaum. Kaipara produziert in Deutschland und bezieht die Wolle, wie das Leitmotiv „Born in New Zealand. Made in Germany.“ der kleinen Firma aus Allmannshohen in Bayern schon verrät, in Neuseeland. 

Weinreben anstatt Regenwald.

Langsam aber sicher verschwinden die Kühe hinter den Zäunen und werden durch Weinreben ersetzt. Das wilde Leben der Westküsten-Cowboys wird also durch Winzer ersetzt. Picton ist unsere letzte Station auf der Südinsel, hier legt die Fähre auf die Nordinsel ab. In Picton angekommen, zelten wir direkt neben dem Hafengelände und kommen mit dieser, zugegebenen, dreisten Aktion sogar unbestraft durch. 2.175 Kilometer haben wir auf der Südinsel zurückgelegt, dabei 27 x wild gezeltet und wurden wahnsinnige 14 x eingeladen, um in Häusern zu übernachten.

In den letzten zwei Wochen durften wir wieder tollen Menschen begegnen, Andy, Holly, Matt, Amanda, Joe, Ramón, Phill, Kathleen, Urs, Theresa und viele mehr haben unsere Tage bunt gestaltet, uns unterstützt oder sind einfach nur ein paar Kilometer mit uns geradelt. Vielen Dank auch an das Schwäbische Tagblatt, wir haben uns sehr über euren Artikel im Schwäbischen Tagblatt gefreut.

Wellington. Eine hüglige Stadt.

Wir sagen in Picton also nicht nur Ciao zur Südinsel, sondern lassen hoffentlich auch den Regen und die Sandflies zurück. Die Fähre bringt uns, durch den friedvollen Marlborough Sounds, bis nach Wellington und damit auf die Nordinsel Neuseelands. In Wellington werden wir nicht nur von Sonnenschein, sondern auch von Anne, Cameron und Florence begrüßt. Die drei nehmen uns in ihrem Häuschen mit einem tollen Blick über die Stadt auf. Schöner können wir unser Nordinsel-Abenteuer nicht starten, vielleicht bekommen wir ja hier eine Armlänge Freiheit zugestanden, wir werden sehen.

Es bleibt, wie immer, abenteuerlich.

Eure

Pasta – Gorillas, Julian und Nico.

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