Die Nordinsel ist trocken und heiß.

Wellington verabschiedet uns, wie der Ortsname schon vermuten lässt, wellig, wie eine unruhige See. Viele kleine Hügel und langgezogene Anstiege begleiten uns raus aus der Hauptstadt Neuseelands, die Beine brennen und der Körper steht bei Sonnenschein pur schnell im eigenem Saft. Die Nordinsel zeigt sich von Beginn an heiß und trocken und bildet somit einen krassen Kontrast zur eher feuchten Südinsel. Auf der Südinsel hatten wir noch Regen satt, die Flora war üppig und grün, Regenwälder und endlose Feuchtgebiete zeigten sich entlang unserer Route. Auf der Nordinsel grasen die Rinder auf ausgetrockneten Weiden, die Wassertanks der Farmer sind leer und die Menschen beten für Regen. Auch wir müssen uns umstellen und uns mit dem Kontrastprogramm engagieren. Zumindest die nervigen und massenhaften Sandflies haben den Sprung von Süd nach Nord nicht mitgemacht und tauchen nur noch in übersichtlichen Grüppchen auf.

Die Anstrengung lohnt sich bei diesem Blick auf den Whanganui River.

Wir radeln die Westküste entlang, machen kurz vor Whanganui die 15.000 Kilometer voll, und suchen über den „Mountains to Sea Trail“ langsam unseren Weg ins Landesinnere. Ein Schicksal eint allerdings die Nord- und Südinsel: Die Berge und Hügel. An manchen Tagen machen wir 1.400 Höhenmeter, wir schleppen unsere 55 Kilogramm schweren Räder die Pässe hoch und runter, am Abend sitzen wir geschafft vor unserem Zelt und schauen der Pasta beim Köcheln zu.

Neuseelands Straßen sind stark befahren und bieten wenig Platz für Tourenradfahrer.

Die Infrastruktur für Radfahrer ist auf der Nordinsel zwar etwas besser, dafür haben wir es hier mit deutlich mehr Verkehr und mit noch höherem Tempo der anderen Verkehrsteilnehmer zu tun. Mit jedem Meter auf den Straßen des Landes, mit jedem engen Überholmanöver, mit jeder obszönen Geste der Autofahrer reift in uns die Überzeugung: Neuseeland mag ein Traumland für Touristen in Campervans und Wanderer sein, allerdings nicht für Weltreiseradler, wie wir es nun einmal sind. Die Trails, welche es abschnittsweise immer wieder gibt, haben definitiv ihren Reiz und laden zu malerischen Tagestouren mit dem Rad ein. Mountainbiker finden hier ohne Zweifel ihr Nirvana, wir leider nicht. Nach 48 Ländern im Sattel nehmen wir es uns raus dieses Urteil zu bilden. Wir treffen viele Radler, welche ähnlich denken. Der ein oder andere nimmt gar den Bus, um bestimmte Passagen zu meiden. Die Radler kommen aus aller Herren Länder, nur Neuseeländer sind kaum darunter. Diese lachen uns aus: „Neuseeländer fahren in Neuseeland nicht auf den Straßen. Wir sind doch nicht bescheuert!“, erklärt uns Tom. Solche Aussagen hören wir nicht nur von Tom, sondern von vielen Einheimischen im ganzen Land. Inzwischen wissen wir auch warum!

Spätestens bei der gemeinsamen Pasta ist alles vergessen…

Unter der psychischen und physischen Anstrengung leidet auch unser Reiseklima hin und wieder, der „Zeltkoller“ holt uns ein. Nico und ich sind nun seit knapp 10 Monaten zusammen unterwegs, in der Regel harmonieren wir prima und funktionieren als Team grandios. Manchmal ist die Anstrengung der Tage allerdings greifbar, da reicht ein schräger Blick, eine dumme Frage, eine arglose Bemerkung, eine Nichtigkeit, um das berühmte Fass zum überlaufen zu bringen. Da werfen und knallen sich zwei Dickköpfe minutenlang mitten auf der Straße Vorwürfe und Beschimpfungen an den Kopf, für jeden Aussenstehenden muss das bizarr und gleichzeitig beängstigend zu beobachten sein. Manchmal fehlt uns einfach die dritte Person im Bunde, welche zu einer demokratischen „2 zu 1“ – Entscheidung beitragen würde. So stehen sich natürlich immer zwei Fronten gegenüber und keiner rückt von seiner Überzeugung ab. Wir sind Brüder, das ist unser Schicksal. Wir sind Charaktermenschen, tragen das Herz auf der Zunge und manchmal muss eben alles mal raus, wie bei einem brodelnden Vulkan. Innerhalb von Minuten ebben diese Eruptionen allerdings auch wieder ab und spätestens am Abend mit einer Schüssel Pasta in der Hand kehrt wieder Frieden ein. Aufgeben und damit die ganze Reise abbrechen, ist natürlich immer eine Option, aber auf keinen Fall die passende Lösung für unser Unterfangen. Wir haben uns ein, zugegeben sehr, fernes Ziel ausgesucht, sind bereits weit gekommen und wollen Japan zusammen erreichen. Ein Abbruch würde unser restliches Leben, wie ein Damoklesschwert über uns baumeln und uns unsere restliches Leben wurmen, davon sind wir überzeugt. Wir haben uns nicht solange und so intensiv vorbereitet, Geld gespart, Zeit freigeschaufelt, um unseren Traum einfach so, wegen ein paar schlechten Gedanken und Momenten, aufzugeben.

19KM WANDERN. PAUSE AM EMERALD-LAKE.

Schon wenige Tage später lehrt uns das Leben ein Lektion der Demut. Wir radeln an den schneebedeckten Kronen zahlreicher Vulkane vorbei, der Himmel ist blau, die Sonne strahlt, die Aussicht könnte nicht malerischer sein, ein Panorama zum niederknien. So erreichen wir das Örtchen National Park Village, wir entscheiden uns den wohl berühmtesten Wanderweg Neuseelands, den „Tongariro Alpine Crossing“ zu begehen. Gesagt getan-  am nächsten Tag trampen wie zum Ausgangspunkt des Wanderweges und ziehen mit Rucksack und einer dicken Brotzeit im Gepäck los. Der Perspektivenwechsel tut gut, die Power der Natur ist hier deutlich spürbar. Der Wanderweg sieht harmlos aus, gilt aber, was Unfälle und Verletzungen anbelangt, als einer der gefährlichsten des Landes. Die Vulkane  „Mt. Ngauruhoe“ und  „Mt. Tongariro“ , sowie unzählige Felsvorsprünge und Bergrücken stehen majestätisch Spalier. Hier und da dampft eine Schwefelquelle vor sich hin und auch die Vulkane zeigen ihr ehrfürchtiges Innenleben, köcheln und dampfen daher leicht vor sich hin. Am berühmten „Schicksalsberg“ aus dem Filmklassiker „Herr der Ringe“ legen wir eine Brotzeit ein und wundern uns schon aus der Ferne über den Tumelt unweit unseres Pausenplatzes: Helikopter kommen und gehen, wir denken uns nichts dabei und ziehen ausgeruht weiter, schließlich wollen knapp 20 Kilometer gemeistert werden. Mit dem „Red Crater“ passieren wir auf einer Höhe von 1868m den höchsten Punkt der Tour. Dort haben wir eine fantastische Aussicht über die bizarre Landschaft aus Geröll, Stein und blankem Fels-  die Natur hat hier eine ganz besondere Landschaft geschaffen. Bevor es wieder bergab geht, laden der „Emerald“ und der „Blue“ – Lake zu einer weiteren Verschnaufpause ein. Leicht verbrannt von der Höhensonne trampen wir am frühen Abend wieder zurück zu unseren Rädern. Fix und fertig fallen wir in unser Zelt und schlafen 11 Stunden durch. Am nächsten Tag erfahren wir die bittere Wahrheit über die Tumulte am Berg, kurz vor uns kollabiert bei der Überquerung des Passes ein britischer Tourist und verstirbt. Die nächsten 3 Tage ist der Berg komplett gesperrt, um dem Toten zu gedenken und um den Berg zur Ruhe kommen zu lassen. Eine tolle und respektvolle Entscheidung, wie wir finden. Und wir zwei Idioten streiten uns über Nichtigkeiten. Wir dürfen solch eine Reise machen, haben das große Glück uns die Zeit nehmen zu können und zu dürfen, um die Welt für uns neu zu entdecken. Demut kommt auf, so sitzen wir eine bittere Lektion reifer abends wieder vor unserem Zelt. Das Leben ist zu kurz zum Streiten.

Ruhige Pause. Ein Irrglaube.

Wieder auf den Rädern steuern wir den „Lake Taupo“ an, passieren dabei den nicht weniger schimmernden „Lake Rotoaira“, Neuseeland ist eine Schatzkammer voller schöner Ecken und Plätzen. Die Hängematten-Pause im Park von Turangi, wird eher zur Qual und weniger zur Erholung. Ein Gruppe einheimischer Kinder hat es sich zur Aufgabe gemacht uns um den Schlaf zu bringen, frech werden die Räder und unser Equipment betatscht und grob durch die Gegend geworfen, mit Stecken wird nach uns geschlagen und unsere Kekse flink erbeutet. Kinder halt – denken wir, gibt schlimmere Verluste, wie ein paar Kekse. Allerdings hat uns die Aggressivität und die Dreistigkeit der Jungs im Grundschulalter sehr irritiert.

Kurze Pause an den Huka Falls in Taupo.

Zäh wie Kaugummi geht es am See entlang, manchmal kommt man einfach nicht in den Tag und in unserem Fall kaum vom Fleck. Es beginnt die Zeit des Kopfes, der Körper strampelt und der Geist zwingt ihn dazu. Es ist eine Phase der Reise, in welcher der Kopf die Arbeit übernehmen muss. Klar  arbeitet der Körper, aber über 90% wird jetzt vom Kopf gesteuert und entschieden. Die Beine brennen, der Körper schreit nach Ruhe, jeder Meter fühlt sich an, wie ein Ritt durch Treibsand. Für die Schönheit der Natur habe zumindest ich gerade wenig übrig, wir radeln am „Waikato River“ entlang, besuchen rasch die von Touristen überlaufenden heißen Quellen von „Otumuheke“ und die „Huka-Falls“. Es geht weiter, es muss weiter gehen,

durch Lamentieren verschwindet kein Berg und Japan kommt auch nicht näher, aber auch zähe Tage gehen irgendwann vorbei.

Spontane Pause am Wegesrand in einem heissen Fluss in Waiotapu.

Kurz vor dem Örtchen Waiotapu wartet im Wald ein langersehnter Ort der Entspannung auf uns: ein heißer Fluss. Der perfekte Ort zum Entspannen, Luxus pur für Körper und Geist. Ohne auch nur eine weitere Menschenseele liegen wir in dem heißen Wasser und steigen erst fertig gegart und tiefen entspannt wieder auf die Räder. Auf der Nordinsel zeigt sich die Urkraft der Natur noch eindrucksvoller, wie auf der Südinsel, überall und ständig. Geysire, kochende Schlammfelder, dampfende Grotten, schlummernde Vulkane, Geothermal-Quellen, heiße Flüsse- überall dampft und brodelt es. Die Natur lebt. Allerdings stinkt sie auch nach Schwefel, Eisen und faulen Eiern.

Wilde Hühner, wilder Zeltplatz.

Wir leben ebenfalls mit und in der Natur und rebellieren aber weiterhin fleißig gegen den Verbotswahn in Neuseeland. Zahlreiche Campingplätze sind für Wohnmobil- und Autofahrer kostenfrei. Menschen,  wie wir, mit Zelt und Fahrrad sollen jedoch auf diesen Plätzen bezahlen. Wir, die einen ökonomischen und ökologischen Tourismus leben, sollen zahlen? Offiziell, weil wir keine Toilette an Bord haben. Da stimmt doch irgendwas im System nicht- Menschen, welche unsere Luft und unsere Natur mit ihren Abgasschleudern verpesten und vermüllen, werden gefördert? Nicht mit uns! Uns zieht es in die Natur, wir schlafen in Wäldern, an Seen oder hinter Häckselplätzen. Sollen doch die Autofahrer eine „Umweltsteuer“ zahlen, vielleicht refinanzieren sich so auch die Toiletten auf den „freien“ Stellplätzen. Für Freunde der Statistik, es steht inzwischen 39-0 beim allabendlichen Versteckspiel: Pasta-Gorillas vs. Ranger.

Coromandel. Eine hüglige Halbinsel.

Über ein Netz aus alten Eisenbahntrassen gelangen wir bis zum Beginn der Halbinsel Coromandel, hier geht  es ruhiger und gelassener zu und direkt am Meer entlang bis ins Dörfchen Te Kouma. Der kleine Ort liegt direkt gegenüber von Auckland, der größten Stadt Neuseelands. Wir nehmen die Fähre von Te Kouma und gelangen über den Hafen Aucklands bis zum Hafen von Golf Harbour. Golf Harbour liegt etwas nördlich von Auckland, so sparen wir uns einen Teil des Stadtverkehrs der 1,7 Millionen Einwohnerstadt Auckland. Jetzt beginnt für uns der letzte Abschnitt unseres Neuseeland Abenteuers, noch sind es circa 450 Kilometer bis zum nördlichsten Punkt des Landes, bis zum Cape Reinga.

Kiwi-Plantagen soweit das Auge reicht.

Leider haben wir nach wie vor keinen tierischen Kiwi in freier Wildbahn gesehen, sind aber davon überzeugt beim Zelten in der Pampa schon einige der scheuen Tiere gehört zu haben. Die aus Australien eingewanderten Opossums sind dagegen die reinste Pest und fressen u.a. den tierischen Kiwi- Nachwuchs auf. Kiwi-Früchte kommen uns dagegen schon deutlich öfter unter, die Plantagen sind, ebenso wie die Avocado-Farmen, gigantisch. Die menschlichen Kiwis verabschieden uns dagegen immer häufiger nach einem kleinen Plausch mit den Worten: „There is another hill coming soon!“ Wo er recht hat, hat er recht, der Kiwi.

Unsere Unterkunft bei Kathleen und John.

Jetzt sind wir bereits knapp 120 Kilometer hinter Auckland und werden beherbergt von John und Kathleen, die zwei betreiben ein kleines Bed & Breakfast. Wir haben die Rentner vor ein paar Tagen vor einem Supermarkt getroffen, spontan wurden wir für 4 Nächte eingeladen. Das Schicksal hätte uns wieder einmal härter treffen können an unserem 300. Tag „on the Road“.

Wir suchen die nächsten Tage unseren Weg bis zum Cape, danach geht es wieder runter bis nach Auckland. Dort werden wir in knapp 2 Wochen nochmals einen letzten Neuseeland Blog schreiben und uns dann für weitere 2 Wochen verabschieden. Wohin? Die Fiji-Inseln rufen und unsere Mädels machen sich langsam aber sicher bereits auf den Weg….

Ein ganz besonderer Dank wollen wir hier an Horst, Charlie, Rike, Jenny und Peter senden- vielen Dank für eure Unterstützung. Danke auch für Eure Emails, Posts und lieben Worte, egal über welchen Weg diese zu uns gelangt sind.

Wir wünschen Euch einen friedlichen Fasching, Karneval, Fasnet..…

Eure Pasta-Gorillas

Julian und Nico

Weitere Bilder findest Du in unserer Galerie.