In der georgischen Hauptstadt Tiflis gönnen wir uns gleich geschlagene 4 Pausentage, wir geniessen das bunte Treiben in der Altstadt, begutachten die prunkvollen Bauwerke, beobachten und entspannen bei eher gemässigtem Aktivismus. Wir sind im Erholungsmodus! Dennoch wollen viele Kleinigkeiten organisiert werden, so ärgern wir uns mit diversen Visa-Angelegenheiten, sind nach einigem bürokratischen hin und her aber im Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung für Aserbaidschan und Pakistan. Unser Freund Thomas und meine Freundin Marisa kommen für 2 Tage zu Besuch, viele Geschichten werden bei Wein und Leckereien bis tief in die Nacht ausgetauscht. Neben Ersatzteilen für’s Rad und unserem Iran-Visa haben die beiden auch vierundzwanzig schwäbische Maultaschen im Gepäck. Da hüpft das Schwabenherz und wir zelebrieren diesen Gaumenschmaus, trotz langatmigen Magen-Darm-Beschwerden bei mir (Julian), würdevoll und ausgiebig.
Mit viel Rückenwind verlassen wir Georgien, bereits circa 60 Kilometern hinter Tiflis erreichen wir die Grenze zu Aserbaidschan. Erst nach einer zähen Grenzkontrolle, wir müssen Tasche für Tasche öffnen und uns immer wieder erklären, dürfen wir unser Reiseland Nr. 11 betreten. Aserbaidschan begrüßt uns karg aber mit viel Feuer und umwerfender Leidenschaft. Das langgezogene Tal durch welches wir radeln besitzt den Charakter einer Felswüste, Sand, Staub, Fels und vom Winde gezeichnete Sträucher erfüllen das Sichtfeld, der Filmklassiker „Spiel mir das Lied vom Tod“ hätte auch hier gedreht werden können. Kein Schatten, viel Wind und die enorme Hitze gibt meinen Magenproblemen endgültig den Rest, 4 Tage renne ich von Busch zu Busch und von einem Plumpsklo zum anderen, Durchfall und Erbrechen wechseln sich im Rhythmus ab. Wir radeln trotzdem weiter, da wir für unser Iran-Visa nur ein gewisses Einreisefenster haben, leichte Nervosität macht sich in unserem Trio breit. Als ich wieder einigermassen stabil auf dem Rad sitzen kann, beginnt Nico’s Körper mit den gleichen Symptomen zu spinnen.
Die unglaubliche Neugier der Menschen in Aserbaidschan ist schon beinahe unheimlich, wie Popstars auf Rädern werden wir in den ländlichen Abschnitten empfangen. Erwachsene Männer scharren sich um uns und rufen“Selfie, Selfie!“, wo auch immer wir stoppen bildet sich innerhalb von Sekunden riesige Menschentrauben, Kinder rennen uns mit dem liebevollen Schlachtruf „Tourist, Tourist!“ hinterher, Autofahrer bremsen uns aus und reichen uns Wasser, Bier oder Cola. Diese herzliche Art der Bevölkerung und die allabendliche Pasta hilft auch Nico schnell wieder auf die Beine und so rollen wir bald wieder kerngesund durch die Weltgeschichte.
Die Straßenverhältnisse sind sehr wechselhaft, mal huschen wir über wunderbar asphaltierte Straßen, doch schon hinter der nächsten Kreuzung wartet Schlagloch für Schlagloch oder die Piste ist gleich, für teilweise über 60 Kilometer, nur aus Staub und Kies. Unsere Velotraum-Räder wühlen sich souverän durch und bekommen als dank eine ordentliche Dusche mit dem Dampfstrahler, welche uns ein Einheimischer spendiert. Nicht nur der Gegenwind ist, bis auf Tag 1 nach Tiflis, ein treuer Begleiter auf den Straßen Aserbaidschan’s sondern auch die unzähligen Ladas. Unglaublich wieviele Personen und wieviel Gepäck man in ein einziges Gefährt stopfen bzw. stapeln kann. Egal wie alt, egal wie kaputt die sowjetischen Kultfahrzeuge sind, die Hupe scheint oft das einzigste funktionierende Teil dieser Karossen zu sein. Ja, es gibt auch hier Verkehrsregeln, nur hält sich einfach keiner daran, wieder lässt der wilde Westen grüßen. Aserbaidschan bleibt auch laut in Erinnerung, ständig wird uns zu gehupt, die Menschen sind temperamentvoll und laut, die Musik wird bis an die Schmerzgrenze aufgedreht. Die Ohren sehnen sich nach Ruhe und sind im Dauerstress, die Konzentration auf den Verkehr und auf die Straßenverhältnisse verursachen Schwindelgefühle. Gezeltet wird mitten in der Pampa, da haben wir, abgesehen von nervigen Stechmücken und streunenden Hunden, unsere Ruhe. Wir zelten an kuriosen Orten, Baugruben, Kieswerke, Kanäle, Baggerseen, Flüssen oder mitten im Busch irgendetwas findet sich immer, das Leben spielt sich eben draußen ab!
Das Leben spielt sich aber auch direkt am Strassenrand ab, Rinder werden direkt vor den Häusern geschlachtet, überall sitzen Menschen beim Tee und spielen Schach, Störche bauen ihre imposanten Nester auf den Masten der Stromleitungen, Hirten treiben ihre Schafe und Rinder an uns vorbei, Kinder baden in den Flüssen und laden uns auf dieses kühle Vergnügen ein. Frauen, scheinen in der eher von Männern dominierten Kultur, auf die Haus- und Hofarbeit verbannt zu sein. Wir sehen zumindest kaum Frauen im Dorfleben Aserbaidschan’s.
Wir werden gegart bei lebendigem Leib, die Temperaturen steigen jetzt auf knapp 40 Grad, die Luft ist staubtrocken, die Kehle schreit nach Flüssigkeit. Wir trinken 8 – 10 Liter, pinkeln aber höchstens 3 Liter über den Tag verteilt, der Rest verdunstet bzw. wir direkt ausgeschwitzt. Nachts ist es dafür komplett windstill, keine Abkühlung in Sicht, da liegst du im Zelt und wünschst dir die Regennächte der ersten 4 Tourwochen zurück! Wo ist eigentlich der Wind des Tages?
Sobald wir allerdings ein schattiges Plätzchen gefunden haben werden die Hängematten gespannt, die Siesta zieht sich jetzt oft in die Länge, der Körper braucht Ruhe und Abkühlung. So hingen wir neulich, kurz vor der Grenze zum Iran, alle drei friedlich unter einem schattigen Feigenbaum. Dieser riesige Baum hatte Platz für 3 Hängematten und wir dösten, von den Grillen in den Schlaf gezirpt, vor uns hin. Gedanken wie: „Jetzt sind wir tatsächlich vom bayerischen Laubwald bis zu diesen edlen Feigenbaum in Aserbaidschan geradelt, knapp 5000 Kilometer aus eigenes Muskelkraft über ein gigantisches Netzwerk von Straßen und Pfäden“! Manchmal können wir unser Glück, solch eine Reise machen zu dürfen/ zu können selbst kaum fassen. Solche Momente sind magisch und (vermutlich) der wahre Grund einer solchen Reise.
Einen weiteren fantastischen Moment des Glücks erleben wir mit dem erreichen des Kaspischen Meeres, spätestens mit dem erreichen des Kaspischen Meeres ist dann auch klar, dass wir den Iran pünktlich erreichen werden. Aserbaidschan hat uns sehr beeindruckt, das „Land des Feuers“ und seine Bevölkerung wird uns, bis auf die Lautstärke, noch lange positiv in Erinnerung bleiben.
Wieder machen die Grenzbeamten Aserbaidschan’s einen übertrieben peniblen Job, jede Tasche wird geröntgt, der Pässe dreimal kontrolliert, ein zähes und langatmiges Verfahren. Umso überraschender ist die Einreise in den Iran. Schon nach wenigen Minuten steht ein Polizist mit einem breiten Grinsen und den Worten vor uns „Welcome to the Islamic Republic of Iran“! Keine 24 Stunden später wäre unser Visa für den Iran abgelaufen, 40 Tage haben wir nur Zeit den Iran zu bereisen, Zeitdruck ade.
Bang!! Reiseland Nr. 12 und der kulturelle Unterschied ist direkt spürbar. Modern, herzlich und respektvoll begrüßen uns die Menschen. 2.5 Stunden sind wir nun der deutschen Zeit voraus und grüßen daher aus der „Zukunft“. Waren die Aserbaidschaner doch etwas distanzlos, so sind die Menschen im Iran zwar sehr gastfreundlich, achten allerdings mehr auf die Privatsphäre und verstehen auch ein höfliches „Nein!“.
Die Straßenschilder sind mit eleganten, persischen Schriftzeichen versehen, welche wir allerdings nicht mehr entziffern können, die gute alte Landkarte hilft bei der Navigation und auch die Bevölkerung hilft uns stets gerne und gestenreich aus.
Die Menschen lachen sehr viel mit uns, unterhalten sich über (beinahe vergessene) deutsche und iranische Fussballhelden und freuen sich über unseren Besuch in ihrem Land. Im Gegensatz zu Aserbaidschan sitzen auch hier Frauen hinter’m Steuer und zeigen sich auch im Alltag sehr modern und zeitgemäss. Die ersten 3 Tage sind eine weitere Explosion der Sinne, wir zelten weiterhin wild, geniessen die Köstlichkeiten des Landes, lauschen den Geschichten der Einheimischen und sind bemüht den zahlreichen Einladungen zum Tee, Essen, Stadttour etc. nachzukommen.
Der viele Müll am Straßenrand ist mit Sicherheit kein rein iranisches Problem, die Umweltverschmutzung durch Plastikmüll und Einwegverpackungen sticht hier nur wiedermal strak ins Auge. Ob unsere Weltgemeinschaft dieses Problem jemals grundlegend in den Griff bekommt? Es macht uns einfach nachdenklich Kühe, Ziegen oder Hühner auf Müllbergen zu sehen, welche den Plastikmüll essen und wir bekommen wenige Wochen später deren Fleisch wieder auf den Teller. Igitt!
Hinter jeder zweiten Ecke schallt uns ein freundliches „Salam“ entgegen, getragen von dieser Euphorie machen wir am Tag 74 unsere 5.000 Kilometer direkt vor einem kleinen Kiosk voll. Der Kioskbesitzer und seine Kundschaft sind so begeistert von unserer Tour, dass Kekse, Limo und Eis auf’s Haus gehen, was für ein grandioses Geschenk. Für das obligatorische Selfie stehen wir im Anschluss natürlich gerne parat, Leidenschaft pur! Wir selber feiern unser „5.000er“ am Abend ganz traditionell beim zelten in der Wildnis natürlich mit einem riesigen Topf Pasta.
Wir baden in Bandar-Anzali ein letztes Mal im Kaspischen Meer bevor wir rechts abbiegen in Richtung iranischer Hauptstadt Teheran, viele Berge erwarten uns in den nächsten Wochen, wir und die Räder sind bereit für neue Geschichten aus dem Orient.
In Teheran bekommen wir hoffentlich die nötigen Ersatzteile für Nico’s Getriebe, vielen lieben Dank an Pinion für das tolle Engagement, wir freuen uns drauf wieder mit voller Leidenschaft in die Pedale treten zu können.
„Salam!“
Eure
Pasta-Gorillas
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