Unsere letzten knapp 400 Kilometer auf neuseeländischem Boden starten wir im Örtchen Mangawhai, zusammen mit unserem Gastgeber der letzten Tage, John (68) und dessen Freund Patrick (72). Die zwei rüstigen Rentner erlauben sich den Luxus eines E-Bikes, fliegen nur so über die hügelige Landschaft und trotzen mühelos dem Wind von Nordneuseeland- es sei ihnen gegönnt. Nach knapp 25 Kilometer zeigt allerdings die Akkuleistung ihrer Bikes nur noch knapp 50 Prozent an und die Beiden müssen den Heimweg antreten. Unsere Akkus sind dagegen noch voll und wir ziehen frohen Mutes los, um dem Kapitel „Neuseeland“ ein würdiges Ende zu bereiten. Ziel für die nächsten Tage ist der nördlichste Punkt des Landes- das Cape Reinga und damit das Ende von Neuseeland und unserem Abenteuer bei den Kiwis.
Hin und wieder würden wir uns ebenfalls über einen „Powerbutton“ oder einen Gashebel an unseren Rädern freuen. John und Patrick sind kaum weg, da macht die Natur auch schon wieder ernst. Der neuseeländische Wind scheint seinen Spaß daran gefunden zu haben, uns zu nerven und ist stets auf Konfrontationskurs. Nun gut, da müssen wir eben durch und so kämpfen wir uns vorwärts bis ins Städtchen Dargaville. Dort angekommen haben wir es von der Ostküste bzw. vom Pazifik bis an die Westküste des Inselstaates und damit an die Tasmanische See geschafft.
Gert (93) und seine Frau Rose (88) machen uns ihre Gartentür auf und lassen uns zwischen ihren Obstbäumen und dem Komposthaufen zelten. Die zwei sind echte Unikate, Gert erzählt farbenfroh aus seinem bunten und umtriebigen Leben. Als 15- jähriger Bub wurde er von der britischen Armee eingezogen und war während des 2. Weltkrieges in Indonesien stationiert. Irgendwann war er das Morden satt und floh nach Neuseeland. Er nahm sein Schicksal selbst in die Hand und machte alle möglichen Jobs als Hilfsarbeiter, gewann in den 70ern 90.000 Dollar im Lotto und hat bis dato keine Ahnung, wieviele Kinder er auf der Welt verstreut gezeugt hat. Zurück in England war er zwischendurch der Chauffeur des englischen Königshauses und fuhr die Queen zu ihren Terminen. Vor 20 Jahren lernte er allerdings seine jetzige Frau Rose kennen und heiratete sie, wurde seßhaft und ruhiger.
Vor einem Jahr hat er das Rauchen angefangen, „Irgendein Laster braucht man(n) ja!“, meint Gert und dreht sich dabei eine Kippe. Rose nimmt es gelassen: „Was soll ich einem 93- jährigem Mann mit so einer Lebensgeschichte schon vorschreiben?“ Gert’s Rat an uns für ein glückliches und erfülltes Leben: „Jungs, lasst es laufen! Akzeptiert, wie es kommt, beobachtet, seid verrückt und schwimmt gegen den Strom. Und ganz wichtig: „Hört nur nicht auf die Dauernörgler, Pessimisten und Moralprediger – die sind pures Gift für die Seele.“ Und er hat gleich noch einen Rat für uns: „Solltet ihr mit dem Rauchen anfangen, dreht eure Kippen stets mit Filter, so verbrennt ihr Euch nicht so schnell die Finger und verschwendet keinen Tabak!“ Wir nehmen die Botschaften einfach an, was sollen wir da auch widersprechen?
Gegen den Strom radeln wir die nächsten Tage eher unbewusst. In den letzten Wochen haben sich über 1200 Radler aufgemacht, um vom Cape Reinga im Norden des Landes nach Bluff (bzw. Slope Point) im Süden zu gelangen – genau unsere Route, nur umgekehrt. Die sogenannte „Tour Aotearoa“ erfreut sich stetig wachsender Beliebtheit und startet einmal im Jahr – verteilt auf mehrere Wochen, von einem Cape zum Anderen. So begegnen wir einigen Radlern, bunte Geschichten und Erfahrungen werden ausgetauscht – und trotzdem sind wir insgeheim froh, gegen den Strom geradelt zu sein. Gert wäre sicherlich stolz auf uns.
Im „Waipoua Forest“ kämpfen wir uns nochmals viele kleine und größere Hügel hinauf, dort treffen wir auch auf den dicksten Baum des Landes – der „Tane Makuta“ ist ein echter Gigant und hat stolze 2000 Jahre auf dem Buckel bzw. auf der Rinde. Nach einer weiteren Zeltnacht im Garten von John’s Schwester Kath in Rawene, machen wir kurz vor der „Ninety Mile Beach“ unsere 16.000 Kilometer voll. Damit haben wir in Neuseeland die 13, 14, 15 und eben die 16tausend Kilometer voll gemacht- eine Menge Holz für ein eigentlich recht kleines Land.
Auf der „Ninety Mile Beach“ radeln wir für insgesamt 80 Kilometer direkt auf Sand. Rechts die Dünen und links von uns singt das Meer sein ewiges Lied, die Möwen kreischen, die Sonne strahlt dabei. Auch der Wind hat endlich ein Einsehen und stellt den Betrieb ein – Neuseeland verabschiedet sich sanft und wir nehmen es dankend an. Einer der schönsten Abschnitte des Landes und damit unserer Neuseeland-Tour erleben wir so gegen Ende einer harten und kraftzehrenden Tour über die zwei Hauptinseln.
Der Strand ist allerdings nur bei Ebbe befahrbar, eine Nacht verbringen wir daher in den Dünen, den nächsten Tag müssen wir sehr früh starten, so schaffen wir es gerade noch runter vom Strand, bevor die Flut wieder die herrschende Kraft für die nächsten Stunden ist. Die Natur hat ihren Rhythmus, ihren Takt und die Power über Mensch und Tier – uns Menschen bleibt nix anderes übrig, wie uns anzupassen, zu lernen und zu akzeptieren. Ein Wal wurde angespült, 18 Meter lang, dieses majestätische Tier verwest am Strand und zeigt uns wieder einmal deutlich, wie klein wir Menschen eigentlich sind – die Natur hat definitiv einzigartige Kreaturen hervorgebracht. Wir Menschen sind eben auch nur eine Laune der Natur, nicht mehr und nicht weniger wert, wie alle anderen Lebewesen.
Runter vom Strand stehen wir direkt vor den „Giant Te Paki“, diese riesigen Dünen sind gigantisch und das letzte natürliche Highlight vor dem Cape.
Cape Reinga erreichen wir an einem ganz besonderen Tag, am 29 Februar – also im Schaltjahr. Ein Zeichen? 3.616 Kilometer, 2.175 auf der Südinsel und 1.441 Kilometer auf der Nordinsel, liegen hinter uns. 31.000 Höhenmeter mussten wir dabei meistern, was knapp 620 Höhenmeter am Tag bedeutet – jeden Tag, bei Wind und Wetter, mit Gepäck, Sandflies, nervigen Autofahrern und bei jeder Gemütslage.
Wir sind also angekommen und zur Belohnung gibt es einen Kuss, einen dicken und langersehnten Kuss. Am Cape werden wir Zeugen von einem weiterem Naturspektakel, hier treffen sich der Pazifik und die Tasmanische See und feiern ihre Zusammenkunft mit einem „Kuss der Ozeane“. Keinen Kuss, aber je zwei Bier bekommen wir am nächsten Tag von James, Rogger und Diane ausgegeben, die 3 Radler sind ebenfalls kreuz und quer in Neuseeland unterwegs und ziemlich angetan von unserer Reise um den Globus.
Auf einen langersehnten Kuss freuen wir zwei uns jetzt allerdings auch. Zwei Wochen werden wir die Beine hochlegen und mit unseren Mädels – Marisa und Sophia- die Fidschi-Inseln unsicher machen. Die Räder haben dabei Pause und bleiben bei John und Kathleen in Neuseeland.
Und dann? Was Kommt nach den Fidschis? Wie geht es weiter mit uns? Trotz autarkem Leben bekommen natürlich auch wir grob mit, was sich auf unserem Planeten gerade so alles abspielt. Der Coronavirus ist momentan in aller Munde und scheint die Welt mehr und mehr in den Würgegriff zu nehmen. Unsere Idee war- nennen wir diese Idee Plan A- von Neuseeland zurück nach Thailand zu reisen, um unseren Weg über Nordthailand, Laos, Vietnam nach China zu finden. In China wollten wir in Yantai ein Boot nach Japan nehmen. Dieser Plan wird nun leider nicht ganz aufgehen. Wir haben dabei weniger Angst vor dem Virus an sich, sondern eher von den weltpolitischen Entscheidungen und der damit einhergehenden Panik der Bevölkerung. Wir sind jung und sportlich, schwitzen jeden Tag Viren, Bakterien und sonstige Bazillen aus. Waren bereits in Gebieten – Stichwort mittlerer Osten und Indien etc.- in welchen ganz andere Infektionskrankheiten und hygienische Verhältnisse herrschen, die man niemandem wünscht. Kurz um: Wir haben keine Lust, auf Grund von berechtigter oder auch unberechtigter Panik und politischen Entscheidungen, irgendwo in China oder sonst wo in Quarantäne etc. zu kommen und/oder zig Mal am Tag auf Anzeichen des Coronavirus überprüft zu werden und letztendlich durch Länder zu reisen, in welchen der Alltag zum Erliegen gekommen ist.
Auf geschlossene oder ausverkaufte Supermärkte, Bahnhöfe, Hostels, eine zusammengebrochene Infrastruktur und/oder panische Menschen können wir schlicht und einfach verzichten. Plan A ist also definitiv gestrichen. Unser zwischenzeitlicher Plan B, welcher vorsah über Thailand nach Laos, Kambodscha und Vietnam zu reisen, um von dort über Taiwan und Südkorea nach Japan zu gelangen ist ebenfalls ad acta gelegt – Taiwan und Südkorea sind inzwischen ebenfalls als „kein sicheres Reiseland“ gelistet. Was nun? Lange Rede, kurzer Sinn, es musste ein Plan C her.
Unsere gesamte Reise steht bekanntermassen unter dem Motto „Without a plan to Japan – Ohne Plan nach Japan“ und dieses Motto wird nun wieder einmal von uns gelebt. Wir haben uns also Gedanken gemacht, welche Nachbarländer hat Japan eigentlich noch? Und so entstand Plan C. Die USA ist ein direktes Nachbarland der Japaner. Zwar liegt viel – zugegeben extrem viel – Wasser mit dem gigantischen Pazifik zwischen den zwei Ländern, aber es sind Nachbarn. So reisen wir also nach den Fidschis Ende März von Auckland/Neuseeland nach New York in die Staaten. Von der U.S.- Ostküste bzw. von der Atlantikküste wollen wir westwärts ziehen mit dem Ziel, der Pazifik und damit die Westküste USA. Ein kleines bisschen Asientour ist bei unserem USA-Trip, und mit einer großen Portion Ironie gesehen, allerdings dann doch dabei, wir verbinden ganz einfach Chinatown New York mit Chinatown San Francisco – China im Miniformat quasi. Die Vordertür nach Japan wurde uns also verbaut, manchmal muss man dann einfach durch die Hintertür radeln. Oder?
Inzwischen sind alle nötigen Schritte eingeleitet und wir hoffen an der US-Grenzkontrolle mit unserer Reisevita und unseren Bärten keine Probleme zu bekommen- Amerika wir kommen. Welchen Weg wir dort genau einschlagen, steht noch in den Sternen, nur die Himmelsrichtung steht. Go West! Tokio und damit Olympia 2020 wir kommen, nur jetzt eben, von Japan aus gesehen, aus östlicher Richtung. Sollte auch dieser Plan nich aufgehen, werden wir eben Plan D, E oder F ausarbeiten müssen.
Vom Cape Reinga radeln wir nochmals knapp 120 Kilometer zurück und werden kurz hinter der Ortschaft Awanui von John in seinem Jeep abgeholt. Die Gastfreundschaft von John und Kathleen ist gigantisch, da fährt John knapp 500 Kilometer hin und zurück, um uns abzuholen. Ohne Worte! Wahnsinn. Zurück in Mangawhai beziehen wir wieder unseren Wohnwagen und kümmern uns um die oben genannten bürokratischen Angelegenheiten, schreiben diesen Blog und freuen uns, wie die Kinder auf die Fidschis – ohne Fahrrad, nur wir die Wellen, Palmen, Sonne und ganz viel Liebe.
Und übrigens: 45 – 0 ging unser Spiel Pasta Gorillas vs. Rangers aus. 45 Mal haben wir also den „kleinen Rebellen“ in uns geweckt, verbotswidrig in der Natur gezeltet und auch sonst so manches Verbotsschild- davon gibt es in Neuseeland unverhältnismäßig viele- ignoriert bzw. gekonnt übersehen. Gert würde sich jetzt mit Sicherheit schmunzelnd eine Kippe drehen, der Finger wegen selbstverständlich mit Filter. Gegen den Strom hat viele Gesichter und kennt scheinbar kein Alter.
Eure Pasta Gorillas im Urlaubsmodus.
Julian und Nico
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