Andere Länder, andere Sitten – Nach unseren ersten 4 Tagen im Iran durchlaufen wir im Städtchen Rascht eine Art Knigge-Kurs frei nach dem Motto: „Iranisch für Anfänger“. So lernen wir Dinge wie: in der öffentlichen Wäscherei werden weder Unterhosen, Socken noch Radhosen gewaschen, das Internet ist stark eingeschränkt und funktioniert nur bei guter Laune, es gibt Verkehrsregeln, nur hält sich keiner dran und ziehe niemals eine kurze Hose in der Öffentlichkeit an, egal wie heiß der Tag ist. Gott sei Dank lernen wir am selben Tag noch den gesprächigen Englischlehrer Saeed kennen, kurzer Hand werden wir in dessen Schule eingeladen und als Teil des Lehrplans integriert. Die Schüler und Schülerinnen sind unglaublich neugierig, fragen uns aus und klären uns im Gegenzug über ihre Kultur und deren Bräuche und Sitten auf. So lernen wir, dass die Menschen im Iran momentan im Jahr 1398 leben, so grüßen wir also aus dem späten Mittelalter unserer eigenen Zeitrechnung. Erschreckend finden wir, nicht nur hier in der Schule, die Schwärmerei für den Nationalsozialismus, für Hitler und seine Schandtaten und den arischen Rassengedanken. Nach einigen Schulstunden in verschiedenen Klassen fühlen wir uns aufgeklärt genug und endgültig bereit für die Durchquerung des Irans.
Bei strömendem Regen verlassen wir 3 die Stadt Rascht, es regnet Bindfäden. Allerdings soll dies der letzte Regen bis tief in den Zentraliran bleiben. Wir verlassen die fruchtbare Küstenregion des Kaspischen Meeres und suchen unseren Weg ins Landesinnere, Ziel der nächsten Tage ist die iranische Hauptstadt Teheran. Der Regen lässt schon bald nach und die Region wird deutlich trockener, karge Felslandschaft und massive Anstiege lassen uns schnell wieder schwitzen und von Regen träumen. Die Straße schlängelt sich, wie ein endloser Wurm, die Berge hoch, hinter jeder Kuppe wartet eine weitere. Es ist zäh, das Thermometer steigt auf über 35 Grad und auch der Verkehr nimmt deutlich zu. Eine Dieselwolke nach der anderen macht uns das Leben schwer. Wer die in der Heimat ausgemusterte Diesel-Fahrzeuge sucht, wird im Iran fündig. Unsere Lungen pfeifen einen schwermütigen Blues.
Malerische Zeltplätze wie z.B. direkt am Stausee „Safid Rud“ entschädigen allerdings für jede Abgaswolke, für jeden knackigen Anstieg und jeden hupenden Fahrer. Die Zelte stehen wie eine Gemälde direkt unter einem, der für die Region charakteristischen, Olivenbäume, wir baden im See und genießen mit der Abenddämmerung die Leichtigkeit des Seins.
Am nächsten Tag staunen wir über die vielen Reisfelder, welche sich am Fluss „Shah Ruf“ befinden. Dafür, dass die restliche Gegend eher einer Mondlandschaft gleicht, wirken die Felder unwirklich und passen nicht richtig ins Bild. Schnell stellen wir allerdings fest, dieser grüne Streifen ist in der Tat nur eine Momentaufnahme. Schnell hat uns die Realität wieder und die heißt: Augen zu und durch. Wir steigen bei über 40 Grad im Schatten Meter für Meter, die schmalen Straßen und der zunehmende Verkehr fordern viel Kraft und Konzentration, Felix ist am Abend kurz vor dem Kotzen und brummelt genervt vor sich hin. Ja, vielleicht war dies der anstrengendste Abschnitt der bisherigen Tour, aber genau aus diesem Grund sind wir auch unterwegs: Herausforderungen suchen und meistern, egal ob geistig oder körperlich.
Um die Muskulatur zu entspannen und um den Kopf mit vielen kleinen und bunten Dingen zu füllen, legen wir in der historischen Stadt Qaswin, etwa 150 Kilometer vor Teheran, einen weiteren Pausentag ein. Wir treffen Mosheen, er stellt sich als eine unglaublich inspirierende Person raus. Vor über 40 Jahren hat der inzwischen 67 Jährige in Freiburg und München studiert, lebt aber inzwischen wieder im Iran und betreibt einen kleinen Krämerladen. Den kompletten Tag ziehen wir mit Mosheen durch seine Stadt, wir bestaunen den riesigen Bazar, die ehrwürdigen Moscheen der Stadt, erleben Geschmacksexplosionen an diversen Straßenständen und Restaurants, fahren in die Berge, lernen im Museum viel über die Geschichte der Stadt und gewinnen einen guten Freund. Ein bisschen mulmig ist uns, als Mosheen’s Frau, eine Heilpraktikerin, uns die „Hände liest“. Nach wenigen Minuten ist klar, auch hier haben wie Glück und kommen alle 3 recht gut davon, weniger Zucker ist die Hauptdevise. Am nächsten morgen begleitet uns Mosheen noch mit seinen Radfreunden, er ist Vorsitzender des Radclubs von Kaswin, raus aus der Stadt.
Die nächsten Tage versuchen wir viele Kilometer möglichst schon vor 11 Uhr zu machen. Ab dem frühen Nachmittag setzt ein fieser Gegenwind ein, dieser bläst uns wie ein Heißluftfön entgegen, auch im Schatten und in unseren Hängematten ist es kaum auszuhalten, es ist abartig heiß. Wir schütten bis zu 12 Liter Flüssigkeit in uns rein, schon kurz nach dem letzten Schluck ist die Kehle allerdings wieder staubtrocken.
Trotz psychischer und physischer Schwerstarbeit kommen wir den zahlreichen „Selfie“-Wünschen gerne nach, die Iraner sind ein herzliches Volk und scheinen Selfies mit fremden Menschen zu sammeln wie andere Panini-Bildchen kurz vor der WM. Manchmal werden wir allerdings sehr stürmisch gestoppt und es wird fotografiert was die Kamera hergibt, wir fühlen uns ein wenig wie die Gorillas im Zoo,
Zur Erinnerung, damit nicht auch die letzten in Freiheit lebenden Gorillas als Souvenir in der Vitrine oder im Zoo enden, wir haben eine Patenschaft für Gorillas in Afrika übernommen. Wer diese edlen Tiere und den WWF auch unterstützen möchte, findet hier alle nötigen Informationen:
Weniger spaßig sind die zahlreichen Polizeikontrollen, welchen wir uns ausgesetzt fühlen, mürrisch lassen wir aber auch diese über uns ergehen. Hilft ja nichts, Polizeiwillkür eben.
Am Tag 82 und nach genau 5381 Kilometern erreichen wir den Freiheitsturm von Teheran, dieser heißt uns direkt am Ortseingang willkommen. Es ist Freitag und der Freitag ist der Sonntag im Iran, daher hält sich das Verkehrschaos in Grenzen und wir huschen recht schnell in die Innenstadt. Unser Getriebehersteller Pinion freut sich über das Erreichen des Etappenziels „Teheran“ gleichermaßen und bucht uns für geschlagene 4 Nächte ein Zimmer in der Stadt, vielen lieben Dank dafür.
Wir erkunden die geschäftige Altstadt Teherans, die Menschen wuseln wie die Ameisen durch die engen Gassen, scheinbar ziellos, ein riesiges Durcheinander an Menschen bringt uns zum staunen, wir beobachten passiv und genießen den Moment. Wir statten dem „Golestan Palace“ und seinem pompösen Park einen Besuch ab, dieser Palast war bis Anfang des 19. Jahrhunderts der offizielle Sitz der persischen Monarchie, also bis zur Errichtung der islamischen Republik und gehört inzwischen zum UNESCO-Weltkulturerbe.
Am nächsten Tag unternehmen wir ein gemütliche Wanderung im Naherholungsgebiet vor der Toren der turbulenten Stadt. Startpunkt ist das Örtchen Darband, wir wandern ausgelassen den kristallklaren und eiskalten Fluss entlang und begegnen schon bald keiner Menschenseele mehr, Erholung pur.
Diese Erholung hält allerdings nicht lange an, Felix lässt am selben Abend noch die Bombe platzen. Er teilt, am 85. Tag unserer gemeinsamen Reise, Nico und mir mit, dass er unserer Expedition noch hier im Teheran abbrechen wird. Eine gewisse Schockstarre umgingt uns, richtig glauben wollen wir es zumindest nicht. Schwermütig ritzt Felix die letzte gemeinsame Kerbe, Kerbe Nr. 85, in unser Tokio-Schild, es ist wie ein tiefer Stich. Wer die Beweggründe von Felix detailliert nachlesen möchte, findet diese hier:
Eine wirkliche Diskussion kam leider nie auf, Felix hat sich felsenfest entschieden abzubrechen und unseren gemeinsamen Traum von „Tokio 2020“ aufzugeben. Keine 38 Stunden nachdem er uns seine Entscheidung mitgeteilt hat, sitzen Nico und ich also alleine auf den Rädern und verlassen die Stadt. Felix bucht seinen Rückflug noch für dieselbe Woche. Zu so einem frühen Zeitpunkt hätten wir nie im Leben mit einem Abbruch gerechnet, wir fühlen uns absolut überrannt. 15 Monate haben wir im Vorfeld gemeinsam geplant, gespart, Sponsoren gesucht, uns eine Auszeit von 18 Monaten erträumt und geschaffen. Und jetzt? Steigt Felix aus und lässt uns mitten im Orient hängen, die Tage nach Teheran sind daher sehr emotional und wechseln hin und her zwischen Trauer, Wut und Galgenhumor. Fassungslosigkeit kommt bei Nico und mir eher selten vor, jetzt hat sie uns erreicht, kalt und gemein setzt sie sich in uns fest. So sitzen wir allabendlich vor unserem Zelt und können die vielen Fragezeichen gar nicht zählen. Zeit, wir brauchen Zeit.
Allerdings kommt bei uns auch schnell eine „Jetzt-erst-Recht“ – Stimmung auf. Wir müssen uns neu sortieren und fokussieren, das Gepäck muss neu aufgeteilt werden und gemeinsame Aufgaben auf Nico und mich verteilt werden. Jetzt beginnt eben ein neuer Abschnitt, ein neues Kapitel der Pasta-Gorillas auch hier werden wir uns von unserem Slogan „Get out – Stay challenged“ leiten lassen.
Felix ist erwachsen, daher akzeptieren wir seine Entscheidung, ob wir dafür aber jemals vollstes Verständnis aufbringen ist äußerst fraglich. Wir wünschen ihm dennoch viel Glück bei all seinen Plänen, danken für seine Begleitung bis Teheran und hoffen auf eine gute und schnelle Wiedereingliederung ins System.
Neben dem emotionalen Weg nehmen wir natürlich auch noch einen realen Weg aus Teheran raus, die Straße hat uns wieder. Das Ballungsgebiet der Großstadt haben wir schnell verlassen und weitere Herausforderungen lassen nicht lange auf sich warten. Gleich am ersten Tag nach unserer Trennung egalisieren wir, bei 45 Grad, den bisherigen Tagesrekord von 132 Kilometern und zur Belohnung stehen zwischendurch hunderte Dromedare um uns rum, man weiß einfach nie, was kommt.
In den darauffolgenden Tagen ziehen wir wie Kameltreiber durch die Wüste, unser Trinkwasser ist schon nach wenigen Stunden knapp und aufgeheizt, egal in welche Richtung wir fahren der Wind kommt immer von Vorne. Es ist wie uns jemand sagen wolle: „Willkommen im nächsten Level!“
Die als sehr religiös-fanatisch geltende Stadt Ghom lassen wir rechts liegen, unser Ziel ist die Stadt Isfahan und dazu müssen wir über die Berge. Wir fahren aber erst einmal weiter durch eine gottverlassene und sandige Gegend, Geisterdörfer und verlassene Häuser machen diesen Abschnitt surreal. Inzwischen ist es sehr schwer an Trinkwasser zu kommen und wir müssen gezwungenermaßen bis zur Erschöpfung auf den Rädern bleiben, aber irgendwie kommen wir immer an Flüssigkeit und finden einen geeigneten Platz für die Nacht. Auch bleiben wir, trotz vieler Stacheln, Drahtreste, Scherben und Müll auf den Straßen ohne Pannen und Plattfüße – Glück hat viele Facetten.
In der Stadt Kashan machen wir nochmals Rast und schlendern mit der Abenddämmerung durch die Gassen der Lehmhäuser und die „Agha Bozorg“-Moschee haben wir ganz für uns alleine, ein beinahe spiritueller Moment aus 1001er Nacht. Wir tanken Kraft. Und diese können wir auch gut brauchen, bei 47 Grad ohne auch nur die geringste Aussicht auf Schatten meistern wir mit 2200 Metern den bislang höchsten Pass der Reise. Ob es in der Landschaft, abgesehen von Heuschrecken, überhaupt Leben gibt, darf strak bezweifelt werden.
Im Ort Murcheh-Kort treffen wir wieder auf Zivilisation und auch auf die Hauptstraße, welche 55 Kilometer später in Isfahan endet, Herausforderung erfolgreich gemeistert! Hallo, Isfahan!
In der 2. größten Stadt des Irans müssen viele kleine Dinge erledigt werden, wir organisieren letzte Dinge mit Felix, telefonieren mit dem BR und dem SWR, verteilen Infos an Sponsoren und Unterstützer etc., etc.
Dennoch bleibt genügen Zeit für die Stadt und für die Entspannung für Körper und Geist. Eine Arbeitskollegin unseres Bruders Joschi aus dem heimatlichen Tübingen ist gerade auf Heimaturlaub in der Stadt. Elham führt uns routiniert durch ihre Stadt, zeigt uns wunderbare Ecken und lüftet das ein oder andere Geheimnis der Stadt für uns, vielen lieben Dank.
Insbesondere bei unseren Sponsoren und Lesern wollen wir uns bedanken und entschuldigen uns für die turbulenten Zeiten in den letzten Wochen. Wir machen weiter – Unsere Reise beginnt jetzt erst richtig! Das Leben spielt sich draußen ab.
Danke und haltet uns die Treue.
Eure zwei Pasta-Gorillas,
Julian und Nico
Weitere Bilder findest Du in unserer Galerie.