Bevor wir uns in der iranischen Wüstenstadt Bam wieder auf die Räder schwingen, statten wir der historischen Altstadt einen ausführlichen Besuch ab und befassen uns etwas mit deren Geschichte und kultureller Entwicklung. Der alte Stadtkern Bams gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe und wurde 2003 durch ein massives Erdbeben quasi komplett zerstört. Tausende Menschen verloren bei dieser Katastrophe ihr Leben. Noch heute wird an allen Ecken mühevoll rekonstruiert und detailverliebt gearbeitet, um die prachtvolle Burg, die Lehmhäuser und die unzähligen kleinen Details dieser Stadt eines Tages wieder im alten Glanz präsentieren zu können.
Die letzte große Hürde im Iran heißt für uns: „Dasht-e Lut“, die „Lut-Wüste“. Die Lut-Wüste gehört ebenfalls zum UNESCO-Weltkulturerbe – Sorgenfalten bereitet uns allerdings eine andere Superlative über diesen Ort. Die Lut-Wüste ist der heißeste Ort der Welt (siehe auch Quelle: Spiegel Online) und da wollen wir durch? Und dies auch noch mitten im August, also im Hochsommer? Die Sinnfrage bleibt unbeantwortet!
Bevor es für mehrere Tage einsam wird, stärken wir uns mit dem „Brot der Wüste“, der Dattel. Am Wegesrand stehen bis circa 50 Kilometer nach Bam zahlreich Dattelpalmen und locken mit ihren süßen Früchten. Wir klettern, wie die Äffchen bis in die Kronen der Palmen und naschen genüsslich. Danach wird es sandig, windig und heiß, sehr heiß. Die Einheimischen warnen uns vor Sandstürmen, vor Überfällen, der Hitze und, dass es keine Möglichkeiten gibt Wasser und Lebensmittel aufzufüllen. Allen Warnungen zum Trotz starten wir, mit zusätzlichen 25 Litern Trinkwasser p.P. im Gepäck, unseren Trip durch die Wüste. Und es wird wild! Die erste Zeltnacht brechen wir mit dem ersten Tageslicht ab und satteln unsere Drahtesel, in der Hoffnung so der enormen Hitze zu entgehen. Dieser Plan geht allerdings nur für die ersten circa 20 Minuten des Tages auf, schon bald hat das Thermometer wieder die 50 Grad Marke erreicht. Hier und da stoppt ein Fahrzeug, kopfschüttelnd bekommen wir Wasser gereicht, viel Verständnis für unser Unterfangen haben die Iraner scheinbar nicht übrig. Für die Pausen zieht es uns wieder unter die Straße, in regelmäßigen Abständen finden wir einen ausgetrockneten Bachlauf samt Unterführung, dort genießen wir unsere Kekspause und das inzwischen pisswarme Trinkwasser im Schatten.
Der Wind peitscht uns schräg von der Seite entgegen, in Kombination mit Schweiß und Sand sehen wir bald wie das Sandmännchen persönlich aus doch wir kämpfen uns Meter für Meter vorwärts. Straßenschilder warnen uns vor Kamelen, leider sehen wir diese nur tot im Straßengraben. Welches Schicksal ihnen wohl widerfahren ist? Einsame Weite, Sand, Geröll und malerische Dünen bis zum Horizont. Irgendwie surreal und dennoch macht sich eine riesige Faszination für diesen Ort in uns breit. Zu unserer großen Überraschung taucht am Abend des zweiten Tages mitten im Nirgendwo ein kleiner Kiosk auf, wir können es kaum glauben. So sitzen wir am Abend vor unserem Zelt, kochen Pasta und genießen tatsächlich ein kühle Zitronenlimo, was für eine tolle Überraschung.
Am Ende des nächsten Tages ist die Lut-Wüste passé. Diese, doch eher wilde Herausforderung wird uns wohl noch lange in Erinnerung bleiben. Es geht für uns weiter durch eine karge Mondlandschaft, die felsigen Berge sind nach der monotonen Wüste allerdings eine willkommene Abwechslung für’s Auge. Im Grenzgebiet Iran/Pakistan/Afghanistan erleben wir einen ganzen anderen Schlag Mensch; Einfacher und traditioneller könnten man die herzlichen Menschen kurz beschreiben. Die 7000 Kilometer machen wir noch im Iran voll – wir feiern mit kalter Pasta vom Vortag im Straßengraben. Kurze Zeit später heißt es Abschiedsnehmen vom Iran. 42 Tage und 2245 Kilometer waren wir hier unterwegs, damit ist der Iran das Reiseland mit den meisten Tagen und Reisekilometern. Vielen lieben Dank für die tolle Zeit liebe Iraner.
So, jetzt wird’s noch ne Stufe wilder, der Wilde Westen Pakistans ruft. Die Formalitäten an der pakistanischen Grenze sind vergleichsweise relativ schnell erledigt und wir begrüßen in Taftan unser Land Nr. 13. Um die Sicherheitslage in Pakistan bzw. im Bundesstaat Balutschistan genauer zu eruieren, so wird es uns zumindest gesagt, werden wir auf’s Polizeirevier gebracht. Wir werden in einen kargen Raum mit vergitterten Fenstern geführt, wir sollen hier warten. Ein Ventilator dreht einsam seine Runden und die runtergekommenen Teppiche könnten sicher Geschichten von zahlreichen gestrandeten Reisenden erzählen. Immerhin wird die Türe nicht verriegelt. Nach wenigen Minuten bringt uns der diensthabende Beamte unsere Reisepässe mit den ernüchternden Worten: „You can’t leave by bicycle and you have to stay here until tomorrow!“ zurück. Okay, wir sind kurz baff und brauchen kurz um die Situation neu ein zuordnen. Auf der anderen Seite des Hofes stöhnen Gefangene in ihren Zellen, immer wieder sind dumpfe Schläge zu hören, das ist mal ein Empfang.
Im Laufe des Tages erfahren wir, dass wir durch Balutschistan nur noch mit Polizeieskorten reisen dürfen, die Sicherheitslage sei prekär. Die nächsten 2 Tage und 629 Kilometer erscheinen uns, wie in einem Film. Geschlagene 25 Mal müssen wir bis Quetta und damit bis in die Hauptstadt Balutschistans die Fahrzeuge wechseln. 25 Mal müssen wir die Räder neu verladen, 25 Mal müssen wir die immer gleichen Fragen beantworten. Dazu kommen noch etwa 15 Passkontrollen und zahlreiche Checkpoints, wo wir bis zur Weiterfahrt ausharren müssen. Teilweise werden wir nur 4 – 7 Kilometer gefahren bevor wir wieder von einem Geländewagen auf den Nächsten springen müssen. Alleine pinkeln? Alleine zum Kiosk? Alleine 5 Meter gehen? Nichts gibt’s! Es sind immer mindesten 2 Männer mit Maschinengewehren dabei, was ist hier in der Wüste Pakistans eigentlich los?
Dieses Szenario setzt sich in Quetta fort, wir werden ins Innenministerium gebracht, dort erfahren wir von Mitarbeitern und dem Direktor etwas mehr. Wir brauchen ein NOS, ein „No-Objection-Certificat“ ein „Keine-Einwände-Zertifikat“ für die Weiterfahrt in den nächsten Bundesstaat. Dieses stellt uns der Direktor, nach zahlreichen Besuchen in diversen Abteilungen des Amtes, persönlich aus. Doch warum? Balutschistan ist die unsicherste und ärmste Provinz Pakistans, das deutsche Auswärtige Amt hat mehrere Reisewarnung für die Provinz ausgesprochen. Balutschistan ist in etwa so groß wie Deutschland und hat etwas über 12, 3 Mio. Bewohner und eigentlich möchte die Provinz unabhängig von Pakistan sein. Als sich Pakistan 1947 von Indien löste und ein eigener muslimischer Staat wurde, wurde Balutschistan militärisch annektiert und zur Kooperation gezwungen. Die Bewohner Balutschistans sind ein altes Nomadenvolk mit Stammesgebieten im Iran und Afghanistan. Ohne Rücksicht auf ethnische Gruppen wurden Grenzen gezogen und Menschen so ihrer Tradition beraubt. Konflikte von Separatisten und Militär sind daher vorprogrammiert und an der Tagesordnung. Entführungen und Geiselnahmen von Touristen, Bombenanschläge der Taliban und anderen Terrorgruppen und der dauerhafte und wohl sehr lukrative Drogen- Treibstoffschmuggel machen den Behörden große Sorgen. Negative Schlagzeilen von Touristen, welche Opfer von Gewalttaten werden, sollen um jeden Preis vermieden werden. Kamen in den 80’er noch bis zu 900.000 Besucher ins Land, so sind es momentan nur wenige tausende über das Jahr verteilt. Dies soll sich wieder ändern. Aber wie? Die „Levies“, welche uns permanent beschützen, sind eine paramilitärische Einheit aus Soldaten, Polizisten, Offiziere und Wehrpflichtigen. Wir müssen über die einzige Straße, die durch die endlose Wüste führt, eine andere Möglichkeit gibt es schlicht nicht. Hochkonzentriert sitzen die schwergewaffneten Männer auf der Pritsche der Pick Up’s und haben dabei alles und jeden im Blick, Afghanistan und das Territorium der Taliban ist nur knapp 100 Kilometer entfernt. Wir sind erstaunt, welchen gigantischen Aufwand die Levies und die Anti-Terror-Einheiten Balutschistans wegen uns betreiben, allerdings entspricht dies absolut nicht unserem Freiheitsgedanken. Jeder Polizist und selbst das Innenministerium behauptet zwar, Balutschistan sei absolut sicher, aber warum wird man dann permanent überwacht und mit Maschinengewehren eskortiert? Die exakte Wahrheit werden wir wohl nie erfahren, man will uns wohl nicht verunsichern. Wir bekommen unser NOS-Zertifikat und dürfen am nächsten morgen Quetta, natürlich mit Polizeieskorte, verlassen.
Unser dritter Tag mit Polizeieskorte wird gegen alle Erwartungen noch verrückter. Für die 390 Kilometer von Quetta bis nach Sukkur und damit in den sicheren Bundesstaat Sindh brauchen wir 16 Stunden und wechseln dabei 28 (!) Mal das Fahrzeug. Inzwischen sind wir einfach nur genervt und haben kein Verständnis mehr, als uns am nächsten Morgen wieder eine Polizeieskorte begleiten möchte, radeln wir einfach davon und kommen der Aufforderung einer Passkontrolle nicht nach. Die Bilanz von 3 Tagen Polizeieskorte: 1021 Kilometer, 53 verschiedene Fahrzeuge, über 200 Polizisten und etwa 30 Passkontrollen.
Die nächsten Tage auf pakistanischen Straßen stoppt uns die Polizei noch x-Mal, allerdings meist nur noch für Selfies, diese Stopps tolerieren wir gerne. Doch schon holt uns recht schnell der nächste Konflikt ein. Der Kaschmirkonflikt wirft seine Schatten. Eigentlich wollten wir im Südosten Pakistans ausreisen, doch leider wurden vor wenigen Tagen, auf Grund der Krise im Kaschmirgebiet, alle Grenzen in Richtung Indien gesperrt. Wir müssen also einen Umweg von circa 1200 Kilometern in Kauf nehmen und in Wagah bzw. in Lahore ausreisen, dies ist der einzige im Moment offene Grenzübergang zu Indien im Moment. Pakistan macht es uns wirklich nicht einfach, unverhofft kommt bekanntlich oft. Aber gut, dafür sind die Straßen bunt und voller Leben und wir gewöhnen uns recht schnell an den Linksverkehr, an das ständige hupen fällt die Gewöhnung schwerer.
Vom Bundesstaat Sindh wechseln wir in die Provinz Punjab – inzwischen ist es extrem schwül und heiß. Die Monsunzeit lässt grüßen. Die Pakistanis transportieren alles auf ihren Mopeds, es ist ein wuseliges Straßenbild, welches sich sekündlich ändert. Unsere Augen sind wie die Kugel eines Flipper-Automaten und schießen von einem Blickwinkel in den Nächsten, dennoch können wir nur einen Bruchteil aufnehmen. Kamele ziehen Anhänger, Busse sind liebevoll bemalt und mit Glöckchen dekoriert, am Straßenrand werden Lehmziegel gebrannt, Mädchen trocknen Kuhfladen für die Kochstelle, Jungs rennen uns hinterher und winken uns zu. Frauen fehlen im Leben auf und neben der Straße nahezu komplett. Es ist eine Männer dominierte Welt in der islamischen Republik Pakistan. Es gibt immer was zu beobachten, aber nicht nur wir beobachten gerne. Auch wir werden beobachtet und zwar mit Argusaugen. Die Menschen scheinen hier einen 7. Sinn für ungewohnte Dinge zu haben, egal wo wir auftauchen, egal wann, wir werden gesehen, gefunden und beobachtet. Die Menschen sind neugierig, fragen uns Löcher in den Bauch und spielen gerne am Fahrrad und unserem Equipment rum. Ist bei uns Privatsphäre ein hohes Gut, so wird diese hier einfach ignoriert. Auf die gern gestellt Frage „Are you muslim?“ antworten wir inzwischen mit „Mixed!“, diese Antwort irritiert die Menschen zwar etwas, wurde allerdings immer akzeptiert. Tankstellen werden unser neues Domizil, die letzten 3 Tage haben wir in den Garagen bzw. Räumen von verschiedenen Tankstellen übernachten dürfen, endlich lernen wir die berühmte Gastfreundschaft Pakistans am eigenen Laib kennen. Danke an Karim, Mohammed, Jusuf, Ali etc. für die vielen bunten Gespräche beim Abendessen.
Heute ist der 29.8, wir sind also genau 4 Monate unterwegs und feiern dieses kleine Jubiläum in der Polizeikaserne von Bahawalpur. Warum schon wieder bei der Polizei? Alle Hotels der Stadt sind für Touristen gesperrt, aus Sicherheitsgründen erklärt man uns. Richtig ernst können wir die Polizisten jedenfalls nicht mehr nehmen, heute durften wir das Polizeirevier nicht verlassen. Der Grund: Es hatte geregnet und es könnt auf den Straßen rutschig sein, wir nehmen es einfach mit Humor hin. Nach einer hitzigen Debatte verweigern wir die Kooperation und verlassen die Kaserne auf eigene Faust. Im Sicherheitsabstand von circa 30 Metern verfolgt uns tuckernd ein Moped mit zwei bewaffneten Beamten, so etwas haben wir auf all unseren Reisen noch nicht erlebt. Kein Schritt ohne Kontrolleure. Willkommen im Wilden Westen, willkommen in Pakistan! In circa 450 Kilometern sollten wir in Indien sein, was dort wohl kommen mag? Wir freuen uns jedenfalls drauf, komme was wolle.
Es bleibt, wie immer, spannend.
Eure Pasta-Gorillas
Julian und Nico
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