Aus der Box direkt auf die Straße. Am Flughafen montieren wir die Räder.

Gerade geht der Flieger in Singapur in die Luft und schon begrüßt uns der neuseeländische Zoll mit einem breiten „G’day mate, something to declare?“. Wir brauchen eine ganze Weile, bis wir unsere Räder und das restliche Equipment durch den Zoll haben. Die Beamten in Neuseeland sind sehr penibel- ihren wachsamen Augen entgehen kein Staubkorn und kein Schmutzpartikel. Wir kommen allerdings ohne Beanstandung durch, die Schiebetüren des Flughafens gleiten wenige Minuten später auf, Neuseeland liegt vor uns und wir sind bereit für ein Rendezvous mit der Natur. Eine erfrischende Brise empfängt uns herzlich mit frühlingshaften Temperaturen um die 20 Grad- Willkommen Radelland Nr. 18, willkommen Südinsel.

Noch vor dem Flughafen von Christchurch setzen wir die Räder wieder zusammen, verstauen unsere 7 Sachen in diversen Taschen, ziehen Geld und decken uns mit den nötigsten Lebensmitteln ein. Halleluja-  Neuseeland hat gesalzene Preise, dies wird uns gleich mit dem ersten Einkauf klar. Die nächsten Wochen werden wir uns wohl wieder vermehrt von Pasta mit Tomatensoße ernähren und unser Nachtquartier in der Wildnis der Nord- und Südinsel platzieren müssen. 

Wilkommen in Neuseeland, das Land des Rugby und der Schafe.

Viel mehr, wie die derben Preise, machen uns allerdings die +5 Stunden Zeitdifferenz zu Asien bzw. Singapur (+ 12 Stunden zu Deutschland) zu schaffen. Wir fühlen uns hundemüde und brauchen mindestens eine Nacht in Christchurch, um wieder in unseren Rhythmus zu kommen. Um der Übermüdung vorzubeugen, muss erst einmal eine Parkbank des Botanischen Gartens herhalten. Wo andere Touristen ihre Sightseeing-Tour durch die Stadt ausklingen lassen, liegen wir also auf der faulen Haut und warten auf einen Energieschub im Schlaf.

Dieser Energieschub kommt und zwar folgendermaßen: Zuhause in Deutschland ist Bernice auf unseren Blog aufmerksam geworden und hat uns 30€ zukommen lassen, so bekommen wir die erste Nacht in Neuseeland quasi gesponsert und finden sogleich das kleine Bed & Breakfast von Jane am Rande der Stadt. Vielen lieben Dank an dich liebe Bernice für diesen Support und einen erholsamen Start.

Im Jahr 2011 wurde Christchurch bei einem Erdbeben sehr stark beschädigt.

Obwohl wir weiterhin todmüde sind, kleben wir an Jane’s Lippen. Jane erweist sich als absoluter Glücksfall, sie ist selbst ambitionierte Radlerin und hat viele wertvolle Tipps und Tricks für uns in der Hinterhand. Am Abend des ersten Tages in Neuseeland schlendern Nico und ich noch ein Weilchen durch die flache und quadratisch organisierte Innenstadt von Christchurch. Im Februar 2011 wurde Christchurch von einem der stärksten, je in Neuseeland gemessenen, Erdbeben mit wahnsinnigen 6,3 MW (auf der Mercalliskala) getroffen und nachhaltig zerstört. Noch heute wird die Stadt an allen Ecken und Kanten wieder aufgebaut und renoviert. Zahlreiche Sehenswürdigkeiten sind bis zum heutigen Tage offene Wunden – nicht zugänglich und werden von dicken Stahlgerüsten gestützt und ummantelt. Mit durchschnittlich 15.000(!) Erdbeben pro Jahr sind die Neuseeländer ja einiges gewohnt, das Beben von 2011 wird wohl aber noch lange Zeit ein offenes Trauma in der Geschichte des Landes bleiben. Ist die Natur in Aufruhr, sind wir Menschen machtlos, dies wird sich auch uns in den nächsten Wochen immer wieder zeigen.

Nach der Arbeit kommt das Vergnügen… wir genießen die Abfahrt.

Ausgeschlafen verlassen wir tags darauf die Stadt und machen uns auf dem Weg nach Akaroa. Akaroa liegt circa 90 Kilometer von Christchurch entfernt am Rande eines Vulkankraters. Der Vulkan ist seit über 6 Millionen Jahren erloschen, der Krater ist zum Meer hin auf einer Seite offen und Heimat zahlreicher Spezies und Kulisse einer einzigartigen Natur. Wir schnaufen also 12 Kilometer und über 1100 Höhenmeter den Vulkan auf der einen Seite hoch, schießen bei eisigen Temperaturen ein paar Bilder auf dem Bergkamm, und sausen den Krater auf der anderen Seite wieder runter ins (Vulkan-) Tal. Ganz nach dem Neuseelandklischee werden wir von unzähligen Schafen und Rindern begutachtet, diese dürfen sich über saftig grüne Weiden und eine traumhafte Aussicht freuen.

Unsere alte Freundin Katie zeigt uns ihren Arbeitsplatz.

Angekommen in Akaroa treffen wir unsere alte Freundin Katie. Katie durften wir bereits im Sommer 2010 in Westaustralien kennenlernen- inzwischen ist Katie nach Neuseeland übergesiedelt und arbeitet als Kapitän auf einem Ausflugsdampfer. Katie quartiert uns bei sich im Häuschen ein und schon am nächsten Tag sind wir mit an Bord der „Black Cat“. Mehrmals täglich legt die Crew mit zahlreichen Touristen an Bord ab, immer auf der Suche nach den kleinsten Delfinen der Welt, den sogenannten „Hector-Delfinen“, den kleinsten Pinguinen der Welt sowie zahlreichen andern Meeresbewohnern – wie Seehunden, diversen Vögeln und dem gigantischen Albatros. Wir werden schnell fündig und erleben einen unvergesslichen Tag auf dem Wasser, nur die Orkas bleiben uns verwehrt.

Ähnlich wie Jane, versorgt uns auch Katie mit viel Insiderwissen über Aotearoa (Neuseeland auf der Sprache der Maori) und so ziehen wir die nächsten Tage nicht nur übers Wasser, sondern erkunden gemeinsam auch das Festland. Unser Angelausflug wird zwar mit keinem Fisch belohnt, dafür sammeln wir circa 6 Kilo Miesmuscheln für unsere Silvesterparty. Gemeinsam mit einer kleinen aber bunten Truppe rutschen wir also mit einem Bier in der Hand, vielen Muscheln auf dem Teller und einem leichten Sonnenbrand im Gesicht ins neue Jahr 2020. Wir grüßen also geschlagene 12 Stunden aus der Zukunft, bevor Europa nachzieht und ebenfalls in der neue Dekade landet. Auf diesem Wege noch ein glückliches und gesundes neues Jahr 2020 an Euch, egal wo ihr Euch auf der Welt aufhaltet.

DA STAUNEN SOGAR DIE KÜHE AM RANDE DER SEITENSTRASSEN.

Wir verabschieden uns von Katie und ziehen endgültig los, um unsere eigenen Wege rund um Neuseeland zu finden und zu gehen. Allerdings scheint halb Neuseeland und unendlich viele Touristen aus aller Welt das Gleiche vorzuhaben. Die Straßen sind vollgestopft mit Mietwohnmobilen, Trucks und anderen brummenden Verkehrsteilnehmern. Da die Hauptstraße wenig Platz für Fahrradfahrer bietet, weichen wir immer wieder auf Nebenstraßen aus, allerdings enden auch diese meist wieder auf der Hauptstraße. Naja, so ist es eben in der Ferienzeit, vielleicht lässt der wahnwitzige Ansturm auch bald wieder etwas nach und wir können ohne eine endlose Autoschlange im Rückspiegel radeln. 

MITTAGS IN SHORTS, ABENDS IN DER DAUNENJACKE.

Apropos Sturm: Neuseeland hat alle 4 Jahreszeiten und zig Klimazonen an einem Tag, Regen, Sonne, Sturm und Wind wechseln sich in einem nicht vorhersehbaren und kaum definierbaren Takt innerhalb von nur wenigen Minuten ab. Auch die Temperaturen scheinen Spaß an der Achterbahnfahrt zu haben, nachts liegen wir bibbernd in unseren Schlafsäcken, tagsüber brennt uns die Sonne rote Muster ins Gesicht oder der eisige Wind peitscht uns entgegen. Irgendwie faszinierend, du weißt einfach nie, was kommt. Wir ziehen uns öfter an und aus, als die Damen und Herren des horizontalen Gewerbes auf der Reeperbahn auf St. Pauli. Je nach Laune des Wetters legen wir eine Kleidungsschicht ab, oder eben drauf. Die Natur hält uns eben auf Trab.

Endlose Zäune, zum Wildcampen eine kleine Hürde.

Auf Trab bringt uns auch die Zeltplatzsuche in Neuseeland. Es ist einfach ALLES eingezäunt! Noch nicht mal in England oder Schottland haben wir so unglaublich viele Zäune gesehen, stundenlang radeln wir an Zäunen vorbei. Sich schnell irgendwo in die Büsche zu schlagen ist in Neuseeland ein schwieriges Unterfangen. Trotzdem lassen wir uns nicht unterkriegen und zelten meist in der Nähe von Flüssen, bislang sind wir den wachsamen Rangern zumindest nicht ins Netz gegangen. Was natürlich den Lausbuben in uns diebisch freut, toi, toi, toi! 

Pasta, Pasta, Pasta!!!

Sobald unsere Zelte stehen und wir dick eingepackt unsere Pasta genießen, schweift unser Blick über eine unglaubliche Farbpalette aus Blau und Grün hinweg. Das es überhaupt dermaßen viele Blau- und Grüntöne gibt, ist schon ein Wunder für sich. Diese beruhigende Kombination gepaart mit weiteren farblichen Elementen lässt uns einfach nur schweigen, beobachten, genießen und staunen. Das Allerschönste daran ist die Tatsache, dass wir jetzt wieder 16 Stunden Tageslicht haben, von 6 Uhr bis 22 Uhr können wir uns Zeit lassen, dies bringt enorme Entspannung in unseren Alltag auf und neben dem Rad. Entspannen und genießen bis die Dunkelheit und/oder die Müdigkeit uns ins Zelt treibt.

Die Ruhe vor der Sturm… die Wetterbedingungen sind im ständigen Wechsel.

Tagsüber wirbelt der Wind unsere Farbpalette allerdings weiterhin gehörig durcheinander und wir sind froh die Räder auf der Straße halten zu können. Mit bis zu 130 km/h kommt der Wind frontal von vorne, wie oft wir inzwischen in den Straßengraben geweht wurden, können wir nicht mehr zählen. Nico kullert dabei einmal samt Fahrrad 3 Meter die Böschung runter, bleibt aber unverletzt und wir hieven zusammen das Rad wieder auf die Piste. Die Neuseeländer erkennen ihren Sommer allerdings auch nicht wieder: „So einen Wind hatten wir hier noch nie!“ oder „Der Sommer war noch nie so kalt und wild!“, hören wir immer wieder. Die Zeitungen sind voll mit Bildern von abgedeckten Dächern, umgeknickten Bäumen und zerstörten Autos und Strommasten. Zu allem Überfluss stehen auch noch die Rauchschwaden der Australischen Buschbrände über Neuseeland und taucht das Land hier und da in einen gespenstischen Gelbton.

Irgendwo in diesem Chaos aus Wind, Kälte, Regen und Sonnenschein machen wir unsere 13.000 Kilometer voll und gönnen uns ausnahmsweise ein Stück Käse zur Pasta. Es sind nach wie vor die kleinen Dinge, welche für die Glücksmomente sorgen. Käse, wie geil ist eigentlich ein Stück Käse in einem windstillen Moment?

13.000 Kilometer sind wir bereits geradelt.

Die Tage sind zäh, teilweise rollen wir mit 5-7 km/h über die Straße und gegen den Wind, die Farmerin Nicola und ihr Mann Rod haben Mitleid, wir entspannen bei einer heißen Dusche und einigen Tassen Tee in der Stube der Farm, zelten dürfen wir windgeschützt im Garten. Die Kiwis sind unglaublich offen und hilfsbereit, dies zeigt sich schon auf den ersten Kilometern durchs Land – diese Hilfsbereitschaft darf gerne anhalten.

Moeraki Boulders.

Aber auch so auf der Straße erleben wir einiges: Nico findet 50 N$ (circa 30€), wir treffen den französischen Radler Antoine Pain und ein Mietbus mit 2 Touristen hält hinter uns mit den Worten: „Seid ihr die Pasta Gorillas?“. Kathrin und ihr Mann Andreas folgen unserer Reise von Beginn an, eine Reportage des SWR’s hat die zwei Heidenheimer auf uns aufmerksam gemacht. Nun sind die beiden selbst in Neuseeland und haben sich riesig gefreut uns zufällig zu treffen- es war uns eine Ehre. Vielen Dank auch für die Schokolade!  Zwischendurch finden wir Zeit, um uns die „Moeraki Boulders Beach“ anzuschauen. Aus unerklärlichen Gründen liegen hier gigantische Steinkugeln am Strand- wie als wenn der Teufel mit Murmeln gespielt hätte. In der Mythologie der Maori’s spielen die Steine eine große Rolle, da der Geist von gekenterten Seefahrern in ihnen lebt.

35% Anstieg. Die “Baldwin Street” in Dunedin ist die steilste Straße der Welt.

Kurz vor unserem jetzigen Aufenthaltsort Dunedin müssen wir nochmals kräftig klettern und wuchten unsere Räder 1113 Höhenmeter rauf, genießen einen sonnigen Moment auf dem Bergrücken und huschen ins Tal bis ins Städtchen Dunedin. In Dunedin liegt die „Baldwin Street“, diese Straße ist mit 35% Steigung laut Guinness- Buch der Rekorde die offiziell „Steilste Straße der Welt“. Klar, dass wir uns diesen Spaß nicht entgehen lassen und so schaffen wir etwa die halbe Straße mit unseren vollgepackten Rädern und der kompletten Ausrüstung. Wir schnaufen, wie die Büffel, und die anderen Touristen erfahren etwas live Entertainment nach Pasta-Gorillas Style.

In Dunedin selber kommen wir bei Kel und seiner Frau Sharon unter, das Pastoren-Ehepaar radelt selbst gerne um die Welt, hat 15 Jahre in Litauen gearbeitet und nimmt uns für 2 Tage bei sich auf. Es muss nicht erwähnt werden, dass das Haus auf dem höchsten Berg der Stadt steht, oder?

Wir hoffen jetzt auf etwas weniger wettertechnische Aufruhr in unserer Farbpalette und freuen uns darauf die nächsten Tage die Südspitze des Landes zu erreichen. Von dort starten wir unsere eigentliche Neuseeland-Durchquerung vom Örtchen Bluff ganz im Süden der Südinsel bis Cape Reinga ganz im Norden der Nordinsel.

Lasst es Euch gut gehen.

Grüße aus einer ausdrucksstarken Farbpalette.

Julian und Nico

Weitere Bilder findest Du in unserer Galerie.